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  • Reportage - Argentinien

Priebke? »Das waren so nette Leute«

Auf den Spuren alter und neuer Nazis in Argentinien

  • Antje Krüger, Buenos Aires
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Noch nie fanden sich in Argentiniens Büchereien derartig viele Abhandlungen über das Land als Zufluchtsort für deutsche Nazis wie heute. Doch nicht nur die alten kommen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurück.

Der See Nahuel Huapi liegt still. Kein Lüftchen weht. Im Wasserspiegel die Anden, gewaltig, majestätisch. Nicht weit vom Ufer der Berg Catedral. Im kleinen Ort auf dem Gipfel ist der Rasen kurz gestutzt. Spitze Schindeldächer, Fachwerk und Geranien am Balkon erinnern an Heidis Welt. Aus einem Kiosk drängen vertraut-fremde Klänge in die Andenluft - bayrische Volksmusik. »Du bist Deutsche, nicht wahr?«, fragt es aus dem Hüttchen. Er sei Erich, stellt sich der Fragende vor. Der blonde Kopf will zu dem spanischen Akzent nicht passen. Eigentlich, erklärt Erich, ist er ja auch eher Argentinier. Die Eltern kamen »von drüben«, 1949. Erich taxiert mit einem Grinsen die erschrockene Stille, die seinen Worten folgt. Wer aus Hitlers Deutschland floh, kam vor 1945. Aber danach? Szenenwechsel, wenige Kilometer weiter in der Stadt Bariloche. Eine Einladung von Fremden zum Abendessen. Die kleine Gastgebertochter lässt sich im Atlas Deutschland zeigen. Unweigerlich kommt das Gespräch auf einen Landsmann, den berühmtesten, der je hier wohnte. Erich Priebke, SS-Offizier, verurteilt wegen Mordes an 335 italienischen Geiseln im Zweiten Weltkrieg. »Wir waren Nachbarn«, erzählt die Gastgeberin. »Das waren so nette Leute. Er hat die Schule bauen lassen und ins Krankenhaus investiert. Und seine Frau buk uns immer Rhabarberkuchen. Warum werden die alten Menschen nicht in Ruhe gelassen? Das ist doch alles vorbei.« Es ist nicht alles vorbei. Im Gegenteil. Nie zuvor fanden sich in Argentiniens Büchereien derartig viele Abhandlungen über das Land als Zufluchtsort für deutsche Nazis. Zwar war schon lange bekannt, dass Präsident Juan Domingo Perón rund 180 braunen Tätern, unter ihnen Josef Mengele und Adolf Eichmann, von 1946 bis 1950 über den Atlantik half. Doch machen jetzt neue Dokumente und Spekulationen Furore. So wurde nun über Bariloche, rund 1300 Kilometer von Buenos Aires entfernt, gar ein Reiseführer geschrieben. »Bariloche der Nazis - Ein Touristenführer« geleitet durch die alpenähnliche Zweitheimat »deutscher und österreichischer Nazis, kroatischer Ustaschas, italienischer Faschisten sowie Kollaborateure aus Frankreich und der Schweiz«. Das 130-seitige Buch, auf dessen Umschlag Hitler in einer Fotomontage als Denkmal auf dem zentralen Platz der Andenstadt steht, führt mit Fotos, Dokumenten und einer Stadtkarte zu Aufenthalts- und Wirkungsstätten bekannter Nazis und ihrer Helfer. Der Journalist und Buchautor Abel Basti hat nach eigenen Angaben in mehrjähriger Arbeit vor allem im Katasterverzeichnis der Stadt die Geschichte der Nazis in Bariloche rekonstruiert. Manch einer von ihnen, wie Priebke, lebte seit dem Tag seiner Ankunft unbehelligt unter dem eigenen Namen. Priebke gab auch den Anlass zu diesem Buch. Nach der Festnahme und Auslieferung des SS-Offiziers 1995 an Italien beobachtete Basti, wie Touristen das Wohnhaus Priebkes in ihren Stadtbesuch einbanden, und wollte dieses Interesse nutzen, auch auf diese Seite der Geschichte der Stadt hinzuweisen. Laut Abel Basti sollen sogar Adolf Hitler und Eva Braun hier gelebt haben. Der 48-Jährige stützt sich zum einen auf einen Bericht von General Shukow an den Kreml, in dem dieser nach dem Einmarsch in Berlin 1945 über die Flucht Hitlers via Spanien und Portugal mit Ziel Argentinien informiert haben soll, zum anderen auf Dokumente der argentinischen Armee über die Landung mehrerer deutscher U-Boote an der argentinischen Küste. Doch nicht nur die alten Nazis kommen so in Argentinien ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurück. Auch Neonazis und Skinheadgruppen sind im Land aktiv. Im Mai wurde der Partei des Neuen Triumphes (PNT) des »Führer argentino« Alejandro Biondini erneut die Zulassung als legale Partei verweigert. Die PNT nutzt den Slogan »Un Pueblo, una Nación, un Líder«, der dem deutschen »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« entspricht. Sie verwendet den Hitlergruß und feiert Hitlers Geburtstag. Das mehrsprachige Internetportal der PNT, die 1990 entstand und seitdem um die Legalisierung kämpft, enthält mehr als 300 Links zu anderen rechtsextremen Organisationen. Laut Angaben des Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus gibt es intensive Kontakte zwischen der deutschen NPD und der PNT. Die Jüdische Gemeinde Argentiniens, mit 200000 Mitgliedern die größte in Lateinamerika, ist nur eine der Zielscheiben rechtsextremer Gruppierungen. Auch gegen Homosexuelle oder bolivianische und peruanische Einwanderer wird gehetzt. Und die argentinische Militärdiktatur von 1976 bis 1983, unter der mehr als 30000 Menschen umgebracht wurden oder verschwanden, wird als »Kampf gegen die Subversion« glorifiziert. Während Abel Basti und andere Autoren in ihren Büchern versuchen, die Nazivergangenheit Argentiniens aufzuarbeiten und deren Verflechtungen mit der Politik darzulegen, strickt die PNT mit einem erneuten Antrag auf Zulassung als wahlberechtigte Partei an der Zukunft...

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