nd-aktuell.de / 02.11.1995 / Politik / Seite 5

heben in der DDR – Makel oder Chance?

Marxistisches Forum der PDS plädiert in Positionspapier für gerechte Sicht auf die Vergangenheit

Das Marxistische Forum der PDS hat am 15. Oktober 1995 im Vorfeld der Geschichtskonferenz der PDS (25726. November) ein Positionspapier zum Umgang der Partei mit der Vergangenheit debattiert und verabschiedet, das wir im folgenden in Auszügen dokumentieren.

Im Programm der PDS ist die Stellung der Partei zum gescheiterten sozialistischen Versuch in der DDR sicher unvollkommen, aber für einige Zeit

pel, der uns zum Schweigen bringen, unser Selbstbewußtsein schwächen soll.

Das darf uns nicht hindern, uns mit Irrtümern, Fehlern, schwerem Unrecht, eigener Schuld auseinanderzusetzen. Dazu bedarf es solidarischer Formen. Es gibt viele, die auf ihr Leben voller Verzweiflung zurückblicken, den Boden unter den Füßen verloren haben. Manche sicher mit Recht. Aber für die meisten von uns gibt es keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Wir haben keine schlechtere Vergangenheit als die Westdeutschen, sondern eine andere.

2. Wer Sozialismus will, kann an dem gescheiterten Sozialismusversuch nicht vorübergehen, sondern muß ihn kritisch annehmen.

Die PDS hat in ihrem Programm am Ziel des Sozialismus, der Schaffung anderer Produktionsverhältnisse, festgehalten. Wir meinen, daß ein glaubhaftes Eintreten für dieses Ziel ausgeschlossen ist, wenn wir uns nicht mit der bisherigen sozialistischen Bewegung und vor allem dem realen Sozialismus, den vollzogenen Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse und Verhaltensweisen auseinandersetzen und auch daran anknüpfen. Es geht - im Positiven wie im Negativen - nicht nur um die Beurteilung einer Idee, sondern um die Beurteilung gesell-

schaftlicher Realitäten. Das betrifft tiefgreifende Fehlentwicklungen, aber auch reale positive Erfahrungen, den Einsatz von Millionen Menschen für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung. Unter den Trümmern des DDR-Staates sind bewahrenswerte Bestandteile einer DDR-Gesellschaft sichtbar geworden.

3. Die Bewahrung und Festigung des Grundkonsenses der PDS setzt die Ablehnung der von den Herrschenden vorgegebenen Grenzziehungen zwischen „Guten“ und „Bösen“ voraus.

Der Zusammenbruch des Sozialismus in Europa hat nicht nur die ökonomische und politische, sondern auch die ideo-

logische Macht des Kapitals für längere Zeit erheblich verstärkt. Seine kulturelle Definitionsmacht ist noch wesentlich gewachsen. Viele Linke sind davor zurückgewichen.

Die Existenz und der Erfolg einer in prinzipieller Opposition zu den herrschenden Verhältnissen stehenden Partei sind daran gebunden, daß sie es versteht, eigene Wertmaßstäbe und Grundpositionen zu entwickeln. Das ist ausgeschlossen, wenn die gegenüber einer solchen Partei gefällten Ausgrenzungsurteile übernommen und zum Maß interner Grenzziehungen zwischen „Guten“ und „Bösen“ werden, wie die Entwicklung der Grünen deutlich gezeigt hat.

Gerade das geschieht mit der Verwendung des Kampfbegriffs Stalinismus zur Kennzeichnung der DDR. Gleiches gilt auch für die Gegenüberstellungen Reformer, Neuerer, Sieger des Herbstes 1989 einerseits, Traditionalisten, Fundamentalisten, «restaurative Kräfte, Verlierer des Herbstes andererseits. Besonders absurd ist die Trennung in diejenigen, die vorwärts, und die anderen, die zurück in die DDR wollen.

Jede dieser Zweiteilungen schließt einen Teil der Partei aus dem Grundkonsens der Bundesrepublik (antitotalitär oder wie immer charakterisiert) aus. Dabei trügt die Annahme, daß der „bessere“ Teil damit in Gnaden aufgenommen wird. Es gibt für Systemkritiker immer nur vorläufige Freisprüche.

Die PDS ist als Ganzes und nur als Ganzes das Problem der Herrschenden. Jede Zweiteilung - auch eine mit umgekehrten Vorzeichen - ist der Anfang der Spaltung. Der Pluralismus der PDS beinhaltet auf Konsens gerichtete Vielheit. Wir sind uns bewußt, wie schwer ein solcher Weg ist, wieviel Wunden schon geschlagen wurden. Aber wir sehen zu ihm keine Alternative.

Zum Thema „Leben in der DDR - Makel oder Chance?“ findet am 6. November. 19 Uhr, die nächste öffentliche Veranstaltung des Forums im Bildungszentrum Berlin-Hohenschönhausen, Wustrower Straße 14, Hörsaalgebäude, Hörsaal 4, statt.