nd-aktuell.de / 10.11.1995 / Kultur

Ich bin der Herr...

Das Umschlagfoto zeigt den Berg Sinai, wo Moses das Gebot entgegennahm: „ICH BIN DER HERR, DEIN GOTT “ Jedoch die Bezugsebene ist eine andere. Der Herr hieß Herrmann. Der gebot dem ins „Große Haus“ bestellten ADN-Diensthabenden Ralf Bachmann: „Wir beide sind Mann, aber ich bin der Herr und du der Bach, merk dir das.“

Wer er ist und was er war, legt Bachmann in Episoden seines Journalistenlebens dar, das viereinhalb Jahrzehnte umfaßte, davon allein drei bei ADN - in dessen Zentrale und außerhalb der DDR. Es begann 1945 mit dem Volontariat des 15jährigen bei den „Nachrichten für Grimmä“. Und es endete vorerst mit dem Aufhören der DDR, das den Schlußpunkt auch hinter Bachmanns Tätigkeit als Vize-Regierungssprecher von Modrow und Abteilungsleiter im Medienpolitik-

Ralf Bachmann: ICH BIN DER HERR. Und wer bist du? Ein deutsches Journalistenleben, edition reiher im Dietz Verlag, hg. von Günther Drommer, Berlin 1995. 398 S., br., 35 DM.

ministerium des de-Maiziere-Kabinetts setzte. Und es endete endgültig, als sein wiederbegründetes Grimmaer Lokalblatt in Konkurs einging.

Bachmanns Wege und Erfahrungen sind symptomatisch für nicht wenige DDR-Journalisten seiner Generation. Es gibt da aber Besonderheiten. Er ist Sohn einer sächsischen Jüdin, die Theresienstadt überlebte, und eines sozialdemokratischen Kleinunternehmers, dem das in der UdSSR im NKWD-Lager nicht gelang. Beides wirkte nach. Sowohl die Parteistrafversetzung weg von der „Leipziger Volkszeitung“ als auch die Abberufung vom

Korrespondentenposten in Bonn habe er sich wegen „mangelnder Wachsamkeit“ eingehandelt: 1953 gegenüber dem Zionismus, 1986 hinsichtlich Kontaktes mit Verwandten, die in Israel überlebt hatten. Sein unverkrampftes Verhältnis zur Sozialdemokratie (1945 war er der SPD beigetreten) und zu einigen derer Vertreter in Bonn habe ihm Argwohn eingebracht.

Um ein weiteres Zeugnis nachwendiger Heldenpublizistik handelt es sich nicht bei diesem Buch, das der ausdrücklichen Klarstellung seines Verfassers, er sei kein Dissident, nicht einmal ein Oppositioneller gewesen, eigentlich nicht bedarf. Bachmanns Autobiographie vermittelt eine persönliche Sicht auf ein Pressewesen, das wie das Land, das es hervorbrachte, Geschichte geworden ist.

MARTIN KÜSTER