nd-aktuell.de / 16.11.1995 / Politik / Seite 3

Wer holt die Gruppe der Schwankenden?

WOLFGANG HUBNER

„Unser Kanzlerkandidat bleibt Rudolf Scharping“, liest man auf etlichen Plakaten zwischen dem Mannheimer Hauptbahnhof und dem Kongreßzentrum Rosengarten. Allerdings wurde das Plakat nicht in der Bonner SPD-Baracke angefertigt, sondern vom Mannheimer Kreisverband der Jungen Union. Der zweite Teil des Textes lautet: „Unser Kanzler bleibt Helmut Kohl.“ Beim derzeitigen Zustand der SPD geht der CDU-Nachwuchs mit seiner Prognose kein großes Risiko ein.

Immerhin unternimmt die SPD in Mannheim den Versuch, ihren Ruf als Arbeitnehmerpartei, als Partei der kleinen Leute vor weiteren Kratzern zu bewahren. So waren am Mittwoch vier Foren geplant, in denen es um Produktion und Ökologie, Arbeitszeit, berufliche Qualifikation sowie um Perspektiven für Ostdeutschland gehen sollte. Aus Zeitgründen fielen die beiden letzten aus.

Prof. Udo Ernst Simonis vom Wissenschaftszentrum Berlin erklärte den Delegierten, daß 25 Prozent der Bevölkerung materiell, 20 Prozent postmateriell interessiert seien. Dazwischen liege eine große Gruppe mit schwankenden und differenzierten Interessen. „Wer“, fragte Simonis, „holt diese Gruppe zu sich herüber, welche Partei überzeugt sie?“ Es sei schwer, Gerechtigkeit mit ökologischen Begründungen durchzusetzen, es fehle „eine explizite Vertretung der Inter-

essen künftiger Generationen“.

Wolfgang Mainz, Chef des Verbandes Junger Unternehmer, forderte vom Staat Bedingungen für ökologische Innovationen. Investitionen in diesem Bereich müßten sich auszahlen, Steuern gesenkt, Planungsverfahren verkürzt, Überregulierung abgebaut werden. Das stieß bei einigen Delegierten nicht auf Gegenliebe. Steuern sollen, hieß es, nicht pauschal, sondern differenziert gesenkt werden, beispielsweise für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Ein Redner warnte davor, die Standort-Deutschland-Debatte als Angstkampagne zu führen, schließlich sei Deutschland nach wie vor Exportweltmeister. Siegmar Mosdorf forderte, sich in der Modernisierungsdebatte von der Bundesregierung abzugrenzen. Sie sei mitschuldig, daß die Bundesrepublik in vielen technologischen Fragen zurückgefallen ist. Parlamentskollege Michael Müller verlangte, die Vermeidung weiterer Umweltzerstörung ins Zentrum der Politik zu stellen - das sei die Aufgabe einer Reformpartei angesichts der Tatsache, daß die Umweltzerstörung der nächsten 50 Jahre vorbestimmt und kaum mehr zu verhindern sei.

„Wir sind die modernste Partei“, verkündete Mosdorf, doch Prof. Simonis hatte da seine Zweifel. „Wie ökologisch ist die SPD im Konfliktfall?“ fragte er. Die zehn Milliarden für den Transrapid seien kein Beitrag zur ökologischen Erneuerung.