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  • Kultur
  • Buchpremiere im „Roten Salon“ der Volksbühne

Wütender Dialog

  • Lesedauer: 3 Min.

Einladung und Auftakt waren vielversprechend: Schriftsteller Mario Wirz und Filmemacher Rosa von Praunheim stellten zu mitternächtlicher Stunde im Roten Salon der Berliner Volksbühne ihren Briefband „Folge dem Fieber und tanze“ vor Während drin auf der Theaterbühne der Krieg der Nibelungen tobte, hatten Verlag und Autoren zum Gespräch über jene Briefgefechte geladen, die sich die beiden Mitte bis Ende des Jahres 1990 lieferten. Zuneigungen, Abneigungen, Projekte, Ängste, Zweifel sollten im Mittelpunkt eines geistvoll-witzigen

Abends stehen.

Aber Rosa von Praunheim war offenbar gekommen, um sich von den vielen Freunden ausgiebig feiern zu lassen, zierte sich im Parkett und auf der Buhne wie eine Diva und zollte zuallererst der eigenen Eitelkeit Tribut.

Mario Wirz, ernsthaft um Provokation und Verständigung bemüht, kam dagegen nicht an. Immerhin verdeutlichte er die Entstehungsgeschichte der Briefe, berichtete,

wie er Rosa kennengelernt hatte, als er in einem Praunheim-Film einen HlV-Infizierten synchronisierte. Und dabei mit eigener Stimme Tatbestände eröffnete, die für ihn, den Mario Wirz aus Neuköln, gültig waren, die er jedoch nicht zu offenbaren wagte: seine Infektion und die Angst vor Aids, Ohnmacht, Lebenswillen und Todesfurcht.

Von Praunheim mochte dies auch gesprächsweise nicht ernst nehmen, zog sich im „Roten Salon“ auf das Image eigener Eitelkeit zurück. In den glücklicherweise dann doch noch gelesenen Briefen - allerdings nicht. Hier teilen sich beide den Zuhörern auf eine deutliche, sehr persönliche Weise mit: in ihrer Einsamkeit und Eifersucht, in ihrer Ratlosigkeit und in der grundverschiedenen Haltung zur Welt.

Da ist es Wirz, der weniger nach außen blickt als auf sich. Der sich zurückzieht, zu Depressionen neigt, die Trauer nicht scheut rfnd nicht Tränen. Und da kehrt Rosa von Praunheim Unsicherheiten als Wut und Aggressivität nach außen.

Er/Sie gefällt sich als Rebell und beweist den Mitmenschen immer mal wieder, wie gern er/sie ein Monster ist, ein eitles Monster. Trotz aller Selbstdarstellung machen die immerhin fünf Jahre alten Briefe eines deutlich: Künstlerisches

Selbstbewußtsein ist eine Haltung, das Leben zu bestehen, wütender Haß auf homosexuelle Weinerlichkeit ist Lebenskampf. Und schließlich dann spät, niedergeschrieben im Januar dieses Jahres, Praunheims Erkenntnis: „Jeder von uns scheitert auf andere Weise. Du hast Aids, ich bin geistesgestört.“ (Und wehe, hier kommt kein Widerspruch!) -Wer über das Buch hinaus die Begegnung mit Mario Wirz und Rosa von Praunheim sucht, hat hierzu auch am 8. Dezember um 19.30 Uhr im Literaturhaus Fasanenstraße Gelegenheit. -Ich werde statt dessen die Briefe lesen.

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