nd-aktuell.de / 16.11.1995 / Kultur / Seite 12

Mach uns den Martin, Wessi!

Vor fünf Jahren fiel er im Osten ein, wie Zigtausende andere Westler hier die Chancen witternd, die sich bisher im Westen für ihn nicht geboten hatten. Heute tut er das, was Zigtausende andere Westler im Osten auch tun: Er nimmt den ostdeutschen Kollegen die Arbeitsplätze weg und zieht dem Volk, das ihn wählt, das Geld aus der Tasche, das ihm vorher gnädig bewilligt wurde. Der Unterschied zu den anderen Wessis: Er gibt es zu.

Und man wählt ihn nur für einen Abend. Das ist angenehm utopisch. Martin Buchholz hat sich mit seinem Freund Franz de Byl, dem Jazz-Gitarristen des Abends, in den tiefsten Prenzlauer Berg gewagt. Dort füllt er freitags und samstags ganze Pfefferberge mit Menschen und Lachern. Er kündigt, voll im Trend der Zeit, eine Sado-Maso-Show an. Und er hält, was er verspricht.

Buchholz hat eine sehr hohe Stirn. Offenbar unterscheidet ihn diese von vielen seiner Branche. Denn sein Schalk ist

ihm zu Kopfe gestiegen, wo er auf erwähnter Stirne glänzt, woraus sich wiederum Kabarett ergibt, das sich intelligent vieler heute üblicher Klischees enthält. Sein Zugang zur Wirklichkeit sind die Wörter in ihres Ursprungs Bedeutung. Seine Pointen zieht er aus dem Widerspruch zwischen dem, was die Mächtigen dieses Landes sagen, zu dem, was sie dem Volk weis- bzw schwarzmachen wollen. Das erhellt einiges in dieser dunkler werdenden Zeit. Vielleicht sogar manch propagandavernebeltes Hirn. Ein Aufklärer alter Schule, der doch um die Begrenztheit seiner Möglichkeiten zu wissen scheint. Und ein Alt-Achtundsechziger, der uns für den Moment fast versöhnt mit all denen, die beim Marsch durch die Institutionen blind geworden sind dafür, daß sie jetzt selbst die alten Knacker sind, gegen die sie einst rebelliert haben.

Das Werkzeug der Erkenntnis ist beim Kabarett die Pointe. Die beherrscht Buchholz, und so bekommt das Publikum, wofür es bezahlt. Schließ-

lich ist Marktwirtschaft. Aber es geht dem Meister nicht um Unterhaltung um jeden Preis. So ist, plötzlich mitten im Programm, der Spaß vorbei, und Buchholz spielt als Tondokument die teutsche Botschaft des letzten deutschen Krieges von allen Fronten ein. Die Fortsetzung seines Kabaretts mit anderen Mitteln. Damit dreht er genial den Spieß um und hält den schwarz-rosa Politikern, die immer mehr und immer öfter in den Gefilden der Kabarettisten wildern und ihnen Konkurrenz machen, die Folgen ihres Tuns vor Augen. Auch das Publikum kann sich kaum aus der Beklemmung mogeln. Ja, das war einmal, und es waren Deutsche wie du und ich, und es klingt, trotz der technischen Unterschiede zum heutigen digitalen Sound, so, als könne es wieder passieren. Und daß wir uns das vorstellen können, hat seine Gründe.

Ich erinnere mich gut, daß Buchholz im 90er Jahr einer der ganz wenigen war, die öffentlich das Wahlvolk der DDR darüber aufzuklären versucht

haben, was es gewählt hat. Die CDUhus verbaten sich das damals: ihnen gefiel ja das Ergebnis. Damals sagten sie, man müsse das Wahlergebnis respektieren, den schließlich sei der Wähler mündig und Manns genug, sich zu entscheiden. Schon gar richtig. Schon gar für den Kanzler. Heute ist es mit dem Respekt für die Wählerentscheidungen im Osten, wie wir wissen, bei den staatsnahen und -tragenden Agitatoren nicht mehr soweit her Das freut Buchholz, aus solchem Holz ist er geschnitzt.

Noch ein Tip: Wer sich entscheidet, aus dem Überangebot der Gurus und Alleinunterhalter Buchholz zu wählen, der sollte am Ende tüchtig mit seiner Hände Arbeit die Luft komprimieren. Denn der Zugabenteil hat es noch einmal in sich. So wenig Buchholz in Anpassung an stromlinienförmige Zeiten seinen Marx vergessen hat, so wenig hat er's auch mit Brecht getan. Er kann ihn noch, und wunderbar. Darüber freut sich

JÜRGEN EGER