nd-aktuell.de / 18.11.1995 / Politik / Seite 9

Jetzt leben Sie wieder in der Bundesrepublik. Schließt sich ein Kreis?

Ich kann meinen Weg damals als grandiosen Aufbruch beschreiben oder als Flucht, und beide Varianten haben ihre eigene Wahrheit. Auf rätselhafte Weise bin ich damals drüben in eine linke Ecke geraten: christlich erzogen, kam ich über die Pazifisten zu Kommunisten, flog aus dem Theater und sagte mir, warum ziehst du nicht die Konsequenz und gehst in diese komische DDR. Na, und warum soll einer nicht abhauen, wenn er Frau und Kinder mitnehmen kann. Wenn sogar einer wie der Dichter Peter Huchel hier leb't, kann man's in der DDR bestimmt aushalten, so habe ich damals gedacht. Zuvor hatte ich so einen wie Benno Besson bei Proben in Berlin gesehen, ein Linker mit romanisch-lati-

nischem Feuer - das war's doch! Ich spüre beim Nachdenken über Ihre Frage: Es nehmen die Dinge in einem selber zu, die man nicht schlüssig erklären kann, zumal nicht in einer Mediengesellschaft, die andauernd damit beschäftigt ist, Perspektiven zu verkürzen. Wie soll ich heute jemandem erklären, daß ausgerechnet die Stadt Cottbus, als ich 1961 hier herüber kam, für mich geradezu eine erfüllte Vision sommerlicher Gelassenheit war. Solche Beobachtung kann man angesichts der grauen Maus Cottbus belächeln, sicher einem städtischen Sinnbild dieser kleinbürgerlichen Enge DDR - aber mir bleibt der geschilderte idyllische Eindruck als ein Lebenswert erinnerlich, da kann ich nichts machen. Also, wenn ich mich jetzt so reden höre! Ich entdecke an mir eine nahezu prosozialistische Verteidigungshaltung - daß er mich so weit treibt, das ist es, was ich dem Westen am meisten ankreide! Die Schrecklichkeiten des Lebens in der DDR sind vorbei, aber ich muß auch sagen, daß ich während dieses Lebens im nun untergegangenen Staat viele Schrecklichkeiten verdrängt hatte, vor denen ich

einst in Richtung DDR abgehauen war. Nun sind die wieder da. Die Dinge des Lebens treten aus ihrer Zeit heraus; stattgefunden hat ein Wechsel der Schrecklichkeiten.

Also sind mit der deutschen Einheit für Sie größere Verluste als Gewinne verbunden.

Ich will nur vom Theater reden. Ich fürchte mich vor einem Theaterbetrieb, der zur Agentur verkommt. Dem fühle ich mich nicht gewachsen. Beim Wort Ensemble etwa empfinde ich Mutlosigkeit, Zorn.