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Von PETER H. FEIST

  • Lesedauer: 2 Min.

ligsten Zustand der bildenden Kunst ausmacht, wieviel seit Cezanne und seinen ersten aufmerksamen Nachfolgern preisgegeben wurde, ohne daß ein angemessener künstlerischer

Gegenwert erzielt worden wäre. Zum Teil erklärt das sicher, weshalb man sich jetzt Cezanne-Bilder wieder so gründlich, neugierig und dankbar ansieht.

Der andere Grund für die Anziehungskraft der großen Retrospektive ist der gleiche, der für alle derartigen ernsthaften Resultate einer kostspieligen internationalen Zusammenarbeit gilt. Die Ausstellung wurde vorzugsweise von den Museen in Paris und Philadelphia, zusammen mit der Täte Gallery in London, erarbeitet und wird, leicht verändert, im kommenden Jahr noch an den letztgenannten Orten gezeigt werden. Dann sind neunzig Jahre seit dem Tod des Malers vergangen. Es gibt Werke zu sehen, die sonst bei ungenannten Privatsammlern oder in Malibu, Sao Paulo, St. Petersburg, Tokio und anderswo hängen bzw in Grafikschränken gehütet werden. Die Landschaft aus der Berliner Nationalgalerie, das erste Bild Cezannes, das je für ein Museum gekauft wurde, behauptet ihren hohen Rang. Von sensationeller Schönheit und farbiger Heiterkeit sind ein Stilleben mit Blumenvase, das bisher fast niemals- öffentlich zu sehen war, und eine schwungvolle Waldlandschaft, die 1963 zuletzt gezeigt wurde und erst 1992 ins Museum Los Angeles gelangte. Ein lustvolles Vergleichen kann beginnen, und am Ende weiß selbst der Spezialist, daß der anscheinend so gut bekannte Erzvater

der Moderne noch immer eine Menge ungelöster, Probleme bereithält. Sie betreffen den Sinn mehrerer Bilder, sein individuelles Künstlertum und die generelle Entwicklung des künstlerischen Verhältnisses zur Wirklichkeit in der Ära des Umbruchs zu unserer Epoche.

Mehrerlei wird offensichtlicher denn je. Zum Beispiel, daß Cezanne immer wieder versuchte, sich gleichzeitig in stark voneinander abweichenden Gestaltungsweisen auszudrücken, wie später Picasso. Außerdem fixieren die verschiedenartigen Ansichten desselben Motivs, besonders der geliebten Berglandschaft Saint-Victoire über seinem Heimatort Aix-en-Provence, sicherlich in streng impressionistischer Objektivität verschiedene Lichtverhältnisse, die mal den Mittel-, mal den Hintergrund anders vor seinen Augen treten ließen. Schließlich: Für die „Summe“ seiner Bemühungen um das Riesenthema Mensch-Natur-Kulturgeschichte, die man an den ungefähr gleichzeitigen, grundverschiedenen Fassungen der „Großen Badenden“ aus London und Philadelphia ablesen kann, mußte er die Entscheidung offen und unabgeschlossen halten. Es gibt keine letztgültige Gestalt. Auch und gerade dadurch bleibt Cezanne der weiseste Lehrer in Kunstdingen.

Paris. Grand Palais: Cezanne. Bis 7 Januar 1996, Do-Mo 10-20, Mi 10-22 Uhr

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