nd-aktuell.de / 23.11.1995 / Politik / Seite 10

„Führer befiehl, wir werden dir folgen“

Ausgrenzung und Rassismus in der BRD bereiten den Boden für die nationalistische Propaganda der faschistischen MHP

„Wir fordern die Jugendlichen auf, nicht bei den Auto-Konvois mitzumachen. Jegliche Beteiligung ist auch eine Unterstützung der Aktionen der Grauen Wölfe“ So steht es auf einem Flugblatt deutsch-türkischer Antifagruppen, in dem auf das Treiben der faschistischen MHP-Aktivisten, die die Siege der türkischen Staatsmannschaft für ihre Zwecke umfunktionierten, aufmerksam gemacht wird. Vergleichbar mit Kölner und Duisburger Antifa-Initiativen, werden die Gründe für die Attraktivität von konservativer, reaktionärer und nationalistischer Ideologie in den Erfahrungen mit dem alltäglichen Rassismus in der BRD gesehen. In den fehlenden Integrationsangeboten der deutschen Verwaltung sehen die Kölner Gründe einer Ghettoisierung, in der sich „Gefühle der Einsamkeit in einem fremden Land sowie die Angst, die eigene Identität zu verlie-

ren' , verbreiten.

In Gesprächen mit deutschen und türkischen Jugendlichen in Schulen und vor Discos mußten die Antifas feststellen, vielen ist gar nicht bewußt, daß Symbole wie die des Grauen Wolfes und das Wolfs-Handzeichen der faschistischen MHP (siehe Abbildung) zugeordnet sind.

„Führer befiel, wir werden dir folgen“ stand auf einem Transparent. Gezeigt wurde es

auf der 17 Hauptversammlung der Türk-Föderation

(ADÜTDF) 1994 in Sindelfmgen. Vor 20 000 Teilnehmern hielt „Führer Türkes“ seine Rede. Die Föderation ist seit 1976 Dachverband der MHP-nahen Idealistenvereine, konservativer, islamisch-fundamentalistischer Kulturzentren und nationaler Arbeitervereine.

Hinter unverfänglich klingenden Parteinamen wurde bis Ende der 70er Jahre eine straf-

fe Organisation unter einem persönlich von Türkes bestimmtem MHP-Kommando aufgebaut. Zwischen 1978 und 1984 führten die Schlägertrupps der MHP ihren „heiligen Krieg“ vor allem gegen linke türkische Migranten.

In den letzten Jahren haben sich die MHP und die islamistischen reaktionären Vereine von der Straße zurückgezogen. In Versammlungen werden die eigene Kultur, Geschichte und Religion zum Propagandamittel für Nationalismus und Rassismus, z. B gegenüber den Kurdinnen. Die Türk-Föderation ist „modern“ geworden. Mit Forderungen nach einer doppelten Staatsbürgerschaft und der Gleichberechtigung auf allen Ebenen macht sie sich die Ausgrenzung in der BRD zunutze. Ganz im Sinne der türkischen Regierung. Kann ihr doch eine starke Lobby für die Durchsetzung ihrer Interessen nur von Nutzen sein.

Seit Gründung der MHP (Nationale Aktions-Partei) im Jahr 1969 läßt sich ihr führender Kopf, Alparslan Türkes, mit „basbug“, dem alttürkischen Begriff für Führer, anreden. Seine Qualitäten hat der heute 78jährige Oberst a. D. schon als Offizier beim Militärputsch 1960 bewiesen. Die in den folgenden Jahren stärker werdende linke Opposition war auch die Stunde des Hitlerund SA-Fan Türkes. Aus den faschistischen Altkadern der CKMP entstand die vor allem in der Periode 1969-1971 als Anti-Kommunismus-Miliz auftretende MHP. In diese Zeit fiel auch der Aufbau der Jugendorganisation Ülkü Ocaklari (etwa: Idealistenheime). Die Mitglieder der paramilitärisch agierenden Gruppen nannten sich „boskurt“ (Die mythologische Figur boskurt, Grauer Wolf, war und ist vielen

Türken das Symbol für den Retter in der Not). Die Verflechtung mit den staatlichen ?Anti-Terroreinheiten offenbarte nicht nur die Duldung, sondern auch ihre immense politische Bedeutung und Anerkennung.

In den 70er Jahren wollte Türkes mit seinen von einem Ex-General in Mord, Brandstiftung, Sabotage und Sprengstoffattentaten ausgebildeten Kommandos vor allem in der Mitte und des Ostens Anatoliens einen Bürgerkrieg entfachen, um einen Militärputsch zu provozieren. Das Massaker in Kahramanmaras 1978 war Zeichen einer Terrormaschinerie, die außer Kontrolle geraten war. Die Mitte-Rechtsparteien, die Türkes bis zum Militärputsch 1980 durch Koalitionen immer wieder zu Ministerposten verhol-

fen hatten, kündigten den Pakt mit der MHP auf.

Sein Ziel hat Türkes erreicht. Die MHP allerdings war in den 80er Jahren im politischen Sinne faktisch marginalisiert, zum Teil verboten und die Kader schmorten im Gefängnis. Nach seiner Freilassung 1985 begann Türkes die MHP mit der Gründung von Nachfolgeparteien zu reorganisieren.

Als energischer Verfechter einer militärischen Lösung des „Kurdenproblems“ vertritt er seit Anfang der 90er offizielle Staatspolitik, die getragen von Nationalismus und Rassismus, einem „neuen Türkes“ staatsmännische Legitimität verlieh.

Die regierende Ciller-Partei bot der 1993 wieder zugelassenen MHP für die Wahlen am kommenden 24. Dezember Kandidatenplätze auf der Liste der regierenden DYP.

KLAUS MÜLLER