New Yorks neueste Neurose

Anything Else - von Woody Allen

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Woody Allen ist als der Mann bekannt, der jedes Jahr den selben Film dreht. Die Drehbücher mögen wechseln, die Schauspieler auch, mal spielt Woody selbst die Hauptrolle, mal spielt jemand ihn. Aber Weltsicht, Neurosen, Humor und Einblicke in den Geschlechterkampf bleiben erkennbar die des Autors, der aus seiner ureigenen Perspektive auf Leben und Treiben im heimischen New York reihenweise Meilensteine der Filmgeschichte machte, von »Der Stadtneurotiker« über »Manhattan« bis zu »Broadway Danny Rose«. Und in den letzten Jahren immer öfter leicht abgestandene Aufgüsse früherer Höhenflüge produzierte wie »Im Banne des Jade-Skorpions« oder »Hollywood Ending«. Auch die Frauenfiguren, für die seine Filme von jeher berühmt waren, verloren sich zusehends im Beliebigen, und wenn ein auf die Siebzig zugehender Woody sich selbst als Liebhaber besetzt, hagelt es regelmäßig Kritikerschelte. Dass nicht seine eigenen Filme, sondern ein Dokumentarfilm über seine Freizeitaktivitäten als Jazz-Musiker, Barbara Kopples »Wild Man Blues«, der vielleicht interessanteste Woody Allen-Film der letzten Jahre wurde, warf die Frage auf, ob der alternde Meister sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen und das Filmemachen jüngeren Talenten mit besseren Ohren für die Themen eines neuen Jahrhunderts überlassen sollte. Gut zu sehen also, dass »Anything Else«, Woody Allens Film des Jahres 2003 - der Film des Jahres 2004 liegt bereit, den für das Jahr 2005 hat er soeben in London abgedreht -, mit den meisten dieser Spätwerksschwächen gründlich aufräumt. Die Alters-Paranoia, die er seinem abgehalfterten Gag-Schreiber David Dobel in die Psyche schrieb, übertrifft alle bisherigen Allen-Neurosen um Längen. Dobel ist ein Verkehrs-Rowdy im roten Cabrio, ein fanatischer Waffennarr mit Visionen vom zweiten Holocaust, von Verfolgungswahn und der unterdrückten Aggression des langjährigen Großstädters gebeutelt, dabei skeptisch gegenüber jeder Form von Psychotherapie - ein sicherer Lacher, wo doch jeder Allen-Fan weiß, wie abhängig der Mann selbst von seinem Seelenklempner war. »Anything Else« ist ein Film über den 11. September 2001, ohne diesen groß zu thematisieren. Ein Film über eine traumatisierte Figur, eine traumatisierte Stadt und die Notwendigkeit, sich von beiden zu lösen und neue, unvorbelastete Horizonte zu suchen. Ein Film, der - erstmalig in Allens Werk - zum Verlassen von Manhattan aufruft. Alternative Drehorte gab es schon öfter, aber noch nie eine so radikale Zuwendung zum Glück, das im weiten Westen liegt. Den sicheren Fernsehjob im sonnigen, gedankenlosen Los Angeles einer intellektuell zerquälten Arbeitslosigkeit im kulturträchtigen New York vorzuziehen, das wäre in bisherigen Allen- Filmen undenkbare Häresie gewesen. Nicht David Dobel ist es folgerichtig, dem diese neue Zukunft winkt, sondern Jerry Falk (Jason Biggs), ein gehemmtes Nachwuchstalent, das Dobel unter seine vom Leben krupierten Fittiche nimmt. Ein ziemlicher Sprung für Biggs, der aus den Teenie-Komödien »American Pie« (1-3) bekannt ist und hier die Rolle füllen muss, die ein jüngerer Allen selbst gespielt hätte. Weil Biggs Allen ähnlicher sieht als etwa Kenneth Branagh (»Celebrity«), entsteht gelegentlich der Eindruck, man habe es hier mit einem dieser Werbeclips zu tun, in denen ein junger Dennis Hopper seinem gealterten Selbst auf einem Chopper direkt aus »Easy Rider« feixend davonfährt. In Nebenrollen glänzen Danny DeVito als Jerrys unfähiger Manager, dessen Honorarbeteiligung nur deshalb nicht exorbitant hoch ist, weil er Jerry ohnehin nie Arbeit verschafft, Christina Ricci als Jerrys Albtraum von einer Freundin, die die Liebe frisch hält, indem sie sich ihm, nicht aber anderen, verweigert, und die wunderbare Stockard Channing als ihre r...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.