Kleider machen Kunst

Jürgen Flimm ist ab 2006 Intendant der Salzburger Festspiele

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Mit seiner Version von Henry Purcells Oper »King Arthur« bei den diesjährigen Salzburger Festspielen hat Regisseur Jürgen Flimm ein Hohelied auf die Ursprungsheiterkeit der Kunst angestimmt. Als habe man Carl Spitzweg beauftragt, die Malmkraft der Globalisierung zu malen. Hübsch, hübsch. Flimm: Jede Provokation als liebenswürdige Volksausgabe. Und das Volk sind jene, die für eine Eintrittskarte in die Festspielhäuser um die 300 Euro zahlen. Nun ist der einstige Intendant des Hamburger Thalia Theaters zum Intendanten der bedeutendsten und traditionsreichsten europäischen Festspiele berufen worden. Ab 2006 geht er ans Werk, als Nachfolger des Komponisten Peter Ruzicka, der eher unglücklich agiert und Gérard Mortier nachfolgte, jenem brillant-klugen Aufrührer der Nach-Karajan-Ära, der das große Festspiel an der Salzach gleichsam neu erfinden musste und einen meisterhaften Spagat schaffte zwischen beruhigender Treue zum Überlieferten und riskantem Bruch, zwischen angejahrter Weihe und frischer Wucht. Mortier schlug in verlässlicher Regelmäßigkeit auf die Hand ein, die ihn nährte. Inzwischen, trotz bewegender Einzelleistungen auch in diesem Jahrgang, liegt ein Grauschleier der Restauration über Salzburg. Die Festspiele sind erfasst von den Auswüchsen eines Massentourismus der betuchten Art, sie gerieten zu einem Ort der gesellschaftlichen Selbstdarstellung, die offenbar alles will, nur keinen Skandal. Das Geschäft geht sehr gut, aber es droht Weltläufigkeit nur in einer einzigen Sparte: der kulinarischen Beliebigkeit. Jürgen Flimm, 1941 in Gießen geboren, war in Hamburg Deutschlands beliebtester Intendant, sein Ensemble - wenn schon nicht bemutternd - fürsorglich umvaternd. Regie mit der Knute - aus Samt. Die Kritik war sich in ihrem Urteil stets einig: ein im kölschen Klungel geschulter Taktiker der Möglichkeiten; »mehr Komödiant als Kopfmensch« (»Der Spiegel«). Nun also Salzburg. Flimm, der seit Jahren europaweit auch Opern inszeniert, war Präsident des Deutschen Bühnenvereins, er beriet Gerhard Schröder in Kulturfragen, er leitet noch bis 2007 die Ruhrtriennale, und bis zu dieser Spielzeit hat er bereits das Schauspielprogramm Salzburgs verantwortet - ein Multifunktionierender gleichsam, von der »Zeit« ironisch als »Beckenbauer des deutschen Theaters« tituliert. Einer, der sich in Vielbeschäftigung, in Rasanz - ausruht. Denn er fiebert nach über 90 Inszenierungen in seinem Leben nicht mehr nach jeder Regie, aber durchaus noch immer nach einer Rampe, von wo aus man Publikum sieht. Der neue Intendant will die Exklusivität Salzburgs steigern, die Festspiele sollen wieder ein Ausweis für Spitzenklasse und Einmaligkeit sein. Wahrscheinlich steuert diese europäische Kulturgröße Österreichs auf einen Scheideweg zu, an dem endgültig ein Kampf entschieden wird: zwischen einer Kunst, die den Widerspruch sucht, sich am Chaos der Welt entzündet und zum polarisierenden Erlebnis steigert, oder einer Kunst, die in erster Linie Hotels, Restaurants und andere Lobbyräume der Stadt mit den Wiedergängern der Genügsamkeit, des gesicherten Standards und des fein abgestimmten Genusses füllt. Salzburg muss wohl konsequenter das Ureigene betonen, das nur hier zu haben und nicht lediglich eine Vorwegnahme von Inszenierungen ist, die man wenig später (weit preiswerter!) in Berlin, Zürich, München oder Hamburg sehen kann. Und es hat Zeiten gegeben, in denen die Festspiele nicht lukrativer Transitraum für Jet-Set-Stars waren, sondern sich über Jahre hinweg so etwas wie spezielle »Arbeitsgruppen«, ja Ensembles bildeten, deren Ausstrahlung aus kontinuierlicher Zusammenarbeit erwuchs. Jürgen Flimm ist zu gönnen, dass er einer Aufweichung durch die gefälligkeitssüchtige Wirtschaftsmacht der Stadt entgeht. Er wird es schwer haben in einer Allianz der Geschäftsleute, die der Stadt Bestes erhoffen und damit hauptsächlich einen hohen touristischen Profit meinen. Helga Rabl-Stadler, die Festspielpräsdidentin, unter der auch Flimm arbeiten wird, ist Chefin eines der größten Salzburger Modehäuser. Eine Innenstadt-Regentin. Wo in Salzburg über Kunst entschieden wird, sitzt der Dirndl-Mob mit am Tisch. Wer in Salzburg nicht mit einer bestimmten Mode...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.