nd-aktuell.de / 02.09.2004 / Kultur

Die Gelehrten zocken

Akademie für Sprache und Dichtung zur Rechtschreibreform

Tom Mustroph
Das »Schlimmste verhindern« will die Rechtschreibkommission der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Das Schlimmste ist natürlich die nach dem Ende der Übergangsfrist (Juli 2005) nach Willen der Kultusministerkonferenz (KMK) allgemein gültige neue Rechtschreibung. Auf einer Pressekonferenz in der Berliner Akademie der Künste am 30. August 2004 prangerte der Publizist Friedrich Dieckmann erneut die »im Stile eines Politbüros verordnete« Umsetzung der neuen Regelung an. Der Anglist Klaus Reichert beklagte die »sture, starre und vernagelte Haltung« der KMK, in deren Folge eine »Spaltung der deutschen Sprache« drohe. Reichert, auch Präsident der Deutschen Akademie, konstatierte »Beliebigkeit und Entdifferenzierung« im Zuge der vor sieben Jahren eingeführten Reform. Massiver Kritik sind vor allem die Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung ausgesetzt. Sie ignorieren zum Teil Differenzierungen der gesprochenen Sprache und führen zu Verständnisproblemen. »Wohlbekannt« etwa bezeichnet eine verlässliche Tatsache, während »wohl bekannt« mehr als Vermutung aufzufassen ist. Die neue Rechtschreibung legt indes die Zusammenschreibung fest. Stürme der Entrüstung des gebildeten Teils der Gesellschaft lösten auch die pedantische Herstellung von Wortverwandtschaften (z.B. »Gräuel«, »Stängel«, »schnäuzen«), die Verdreifachung von Konsonanten (u.a. »Schwimmmeister«, »Schlammmasse«, »Schifffahrt«) und die Neuschreibungen etlicher Lehnwörter (etwa »Spagetti«, »Krepp« (Crêpe), »Bravur«) aus. Diese Novitäten möchte das Kompromisspapier der Deutschen Akademie wieder ausmerzen. Bereits im Oktober 2002 stellte sie unter Federführung des Sprachwissenschaftlers Peter Eisenberg ihren Ansatz vor, wurde jedoch, wie Dieckmann sich entrüstete, von der KMK und deren Reformkommission »impertinent abgefertigt«. Nun, da die Zeit drängt und sich Springer-Verlag, »Spiegel« sowie »Süddeutsche Zeitung« in die Phalanx der Reformgegner eingereiht haben, macht die Akademie noch einmal auf ihren Kompromissvorschlag aufmerksam. Der möchte - neben dem konsequenten Rückbau der am meisten kritisierten Regelungen - einige Neuregelungen, »«soweit sie sprachlich verantwortbar sind«, bestehen lassen. Das betrifft vor allem die Ersetzung des »ß« durch »ss« nach kurzem Vokal. Durch die Beibehaltung dieses essenziellen Reformteils werde vermieden, dass Schulbücher, die bereits nach neuer Schreibweise gedruckt sind, erneut neu aufgelegt werden müssten, hofft Eisenberg. Allerdings ist dieser Teilvorschlag durchaus anfechtbar. Untersuchungen des Leipziger Sprachwissenschaftlers Harald Marx ergaben, dass die neue ß-Regel 1998 zu mehr Fehlern bei Grundschülern führte, obwohl sie doch vereinfachen sollte. 2001 sei der Fehlerstand von 1996 (dem letzten Vorreformjahr) erreicht gewesen, allerdings seien durch eine Übergeneralisierung neue Fehler entstanden. »Straße« werde jetzt vermehrt falsch mit »ss« geschrieben (www.rechtschreibreform.com/PDF/UniBielefeldMarx.pdf). Weil die Ziele der Reformer weitgehend nicht erreicht wurden, mehren sich jetzt wieder die Stimmen, die eine komplette Rücknahme der Reform fordern. So auch 37 Mitglieder der Akademie der Künste Berlin, u.a. Reiner Kunze, Günter Grass, Elfriede Jelinek, Joachim Fest und Odo Marquard, die eine »schlagartige Wertminderung aller öffentlichen und privaten Buchbestände« nach Ende der Übergangsfrist befürchten. Selbst den Initiatoren des Kompromisses ist ihr Vorschlag nur die »zweitbeste Lösung«. Nur weil man den Amtsträgern nicht den kompletten Gesichtsverlust zumuten möchte, will man ihnen auf halbem Wege entgegen kommen, erläuterte der Schriftsteller Uwe Pörksen, Mitglied der Rechtschreibkommission der Deutschen Akademie. Wie es »zweitbesten Lösungen« oft eigen ist, zeichnet sich der Kompromiss nicht immer durch Klarheit aus. Die Variationsbreite der Schreibung von Lehnwort-Phrasen ist beträchtlich (»Air-Condition«, »Joint Venture«, »Jumbojet«, »Knock-out«). Bis es zu einer Lösung der verfahrenen Situation kommt, ist noch einige Forschungsarbeit über empirischen Sprachgebrauch und daraus abzuleitende Regeln für den Schriftverkehr zu leisten. Einen positiven Nebeneffekt hätte die Reform allerdings, konstatierte Kompromiss-Autor Eisenberg: »Noch nie wurde soviel über die geschriebene Form des Deutschen nachgedacht. Wir wissen heute viel mehr über die deutsche Sprache als vor zwei Jahrzehnten.« Für die unmittelbare Zukunft schlägt die Deutsche Akademie einen kleinen, aber kompetenten »Rat für deutsche Rechtschreibung« vor, der die Diskussion beobachten, moderieren und letztlich zur Entscheidung vorbereiten soll. Bis dahin sollten Verlage und Behörden »evolutionär« vorgehen, d.h. bei jeder Neuauflage einer Publikation sich - falls der (literarische) Autor einverstanden ist - dem jeweils aktuellen Sprachstand anpassen, die alten Exemplare jedoch weiterhin in Umlauf halten. Es ist durchaus möglich, dass sich derart ein Verfahren der gesellschaftlichen Diskussion etabliert, das beispielgebend für andere Konflikte zwischen Regierung und Volk werden kann.