nd-aktuell.de / 02.09.2004 / Kultur

Die dunkle Seite

Jens Sparschuh bei Kant und Nietzsche

Werner Jung
Dieser Autor weiß genau, wovon er spricht, hat Sparschuh doch ein Philosophiestudium mit Promotion abgeschlossen. Ein Schwerpunkt, kann man der Vita entnehmen, sei dabei die Logik gewesen. Wenn er hier die Untiefen der Philosophie auslotet, wird er im brackigen Schlick - genannt: Leben - fündig. Und Logik mag durchaus helfen, auf Widersprüche, ja Idiosynkrasien allerorten zu stoßen! In diesem Bändchen sind zwei Hörspiele abgedruckt, die ein wenig missverständlich als »Unterhaltungen« bezeichnet werden. Es geht um zwei Licht- bzw. Schattengestalten deutscher Philosophiegeschichte: Kant und Nietzsche. Beide sind von unten, aus der Seiten- und Schräglage heraus gezeichnet - Kant aus der Sicht seines jahrzehntelangen Dieners Lampe, Nietzsche durch die Schwester. Damit - und das macht den besonderen Reiz der Stücke aus, die freilich ein mit der Philosophie vertrautes Publikum voraussetzen - gelingen dem Autoren Korrekturen an der überlieferten Geschichtsschreibung. In den Mittelpunkt nämlich rückt durch die verschobene, menschlich-allzumenschliche Perspektive die »andere«, gleichsam dunkle Seite der Geschichte. Es findet ein dialektisches Vexierspiel statt. Aus Kant, dem Heroen der Aufklärung und Vorboten der bürgerlichen Revolution, wird so ein arger Querkopf, der seine Mitmenschen drangsaliert und seinen armen Diener fortwährend kujoniert. Wohingegen Nietzsche sich dadurch, dass er sich völlig rollenkonform verhält, also: irre, wie es Schwester und Umwelt wünschen, Sympathien erwirbt. Nicht Kant, sondern Lampe formuliert grundstürzende Wahrheiten: »"Die reine Vernunft ist mit nichts als mit sich selbst beschäftigt." Das ist er ja, der Inbegriff des ganzen Elends, sage ... denke ich. - Und das entzweite uns. Weil ich mit nichts als mit dieser reinen Vernunft namens Immanuel Kant beschäftigt bin, die wiederum mit nichts "als mit sich selbst" beschäftigt ist.« Und auch der Irrsinn Nietzsches hat Methode. Er dekuvriert die vermeintliche Vernunft und lacht sich ins Fäustchen: »Aber ja, natürlich, ich kenne meine Krankheit. Hab sie mir ja schließlich auch selbst ausgesucht. (...) All das Extraordinäre, Nervöse im Krankheitsbild entsprach ja vollständig dem Bilde, welches das Lama [d. i. Nietzsches Schwester] sich seit langem von mir gemacht hatte. - Es war fortan der einzige Modus, in welchem die verrückte Welt mich zu verstehen geneigt war.« - Ein intellektueller Spaß mit Tiefgang. Und wo ist sie am Ende versteckt, diese Tiefe? Genau: an der Oberfläche! Jens Sparschuh: Silberblick. Zwei Unterhaltungen. Kiepenheuer & Witsch, 90S., geb., 19,90 EUR.