Risse in Belgrader Koalition

USA fordern bedingungslose Zusammenarbeit mit Den Haag

  • Marko Winter, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Slobodan Milosevic, der am Dienstag seine Verteidigung vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag aufnahm, erhält vom offiziellen Belgrad keinerlei Unterstützung. Dennoch droht die Regierung unter Vojislav Kostunica im Streit um das Verhältnis zum Tribunal auseinander zu brechen.
Es irrte, wer annahm, dass Serbien sich nach der Wahl des Vorsitzenden der Demokratischen Partei (DS), Boris Tadic, zum Präsidenten endlich seinen dringenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen widmen könne. Tadic, der eine Woche nach seiner Wahl bereits die USA besuchte, erfuhr dort, dass Washington in Bezug auf Serbien ganz andere Prioritäten setzt als er selbst das in seinem Wahlkampf getan hatte. Die Bush-Regierung ließ unmissverständlich wissen, dass ihr Wohlwollen von Belgrads Verhältnis zum Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) abhängt. Verlangt wird die bedingungslose Erfüllung aller Forderungen des Tribunals, vor allem die Auslieferung aller Angeklagten, unter denen der frühere bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic an erster Stelle steht. Auf der Liste der Auszuliefernden finden sich aber auch der ehemalige Generalstabschef Nebojsa Pavkovic und Sreten Lukic, der noch unter den Ministerpräsidenten Zoran Djindjic und Zoran Zivkovic - Parteifreunden von Tadic - den serbischen Geheimdienst leitete. Der jetzige Ministerpräsident Vojislav Kostunica will, dass gegen Pavkovic, Lukic und zwei weitere Generale, die in der Bevölkerung gewisses Ansehen genießen, vor serbischen Gerichten verhandelt wird. Den Haag lehnt das bisher strikt ab. Es scheint jedoch, als wollte Washington darüber mit sich reden lassen - wenn nur Ratko Mladic festgenommen und ausgeliefert wird. Präsident Tadic hat denn auch versichert, dass man den General verhaften und ausliefern werde - falls er sich in Serbien aufhält. Gerade dafür gibt es aber nach wie vor keine Beweise, obwohl serbische Sicherheitskräfte ernsthafte Fahndungsmaßnahmen ergriffen haben wollen. Ministerpräsident Vojislav Kostunica erklärte jedenfalls auf einer Pressekonferenz in der letzten Woche, Mladic befinde sich definitiv nicht in Serbien. Zugleich sprach er sich erneut dafür aus, serbische Gerichte über Pavkovic, Lukic und Co. urteilen zu lassen. Weniger vordergründig, aber beharrlich fordert der Westen, die Gemeinschaft Serbien und Montenegro müsse jene Klage gegen acht NATO-Staaten zurückziehen, die noch von der Bundesrepublik Jugoslawien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen der Aggression von 1999 eingereicht wurde. An gleicher Stelle klagen Kroatien und Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien wegen Aggression und Völkermord. Sollte letzteren Klagen stattgegeben werden, kämen auf Serbien und Montenegro erhebliche Reparationsforderungen zu. Die Mehrheit in der Belgrader Führung ist deshalb der Meinung, dass die jugoslawische Klage gegen die NATO-Staaten nur zurückgezogen werden sollte, wenn Kroatien und Bosnien-Herzegowina ihrerseits zum Klageverzicht bewegt werden. Anderer Auffassung ist Vuk Draskovic, Chef der mitregierenden Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) und Außenminister Serbiens und Montenegros. Draskovic, der unter Slobodan Milosevic zeitweilig sogar Regierungsmitglied war, nun aber für die Erfüllung aller Forderungen aus Washington und Den Haag eintritt, verlangt die einseitige Rücknahme der Klage. Er stößt damit in der Öffentlichkeit allerdings auf wenig Verständnis: Die Rufe nach seiner Ablösung als Außenminister werden lauter. Angesichts der für den 19. September anberaumten Kommunalwahlen, deren Ausgang weitgehend offen ist, herrscht in Belgrad bisher noch eine gewisse Zurückhaltung. Die Differenzen innerhalb der Regierungskoalition lassen sich jedoch nicht vertuschen. Gut möglich, dass die von der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) tolerierte Minderheitsregierung Kostunicas nach dem 19. September platzt, wodurch wieder einmal Wahlen in Serbien erforderlich würden.
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