Gerichtsgebühr für Sozialklagen?

DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer über Hartz IV, die Proteste und die Bürgerversicherung

Wegen der Arbeitsmarktreformen Hartz IV rechnen die Sozialgerichte mit einer Protestflut. Nicht nur über eine mögliche 75-Euro-Gebühr zur Klageabschreckung und Erfolgschancen der aktuellen Anti-Hartz-Proteste sprach mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer, ND-Redakteurin Michaela von der Heydt.

ND: Zu den sozialen Einschnitten im Rahmen von Hartz IV passt auch die von Baden-Württemberg eingebrachte Bundesratsinitiative, wonach jeder, der bei einem Sozialgericht Klage einreichen will, erst eine Gebühr von 75 Euro zahlen muss. Wie bewerten Sie das?
Engelen-Kefer: Wir warnen davor und empfehlen der Koalition dringend, hier nicht mitzumachen. Schließlich handelt es sich vielfach um Kläger, die keine großen Einkommen oder Vermögen haben. Und es geht es oft um kleine Beträge. Arbeitslose, kranke Menschen oder Behinderte ringen um jeden Euro. Außerdem werden meist Leistungen eingeklagt, die von Sozialversicherungen hätten bezahlt werden müssen. Die Rechtsansprüche haben die Betroffenen selbst über Beitragszahlungen erworben. Es geht nicht um irgendwelche Almosen. Wer das Gericht einsetzen muss, um zu seinem Recht zu kommen, von dem kann ich nicht auch noch Geld verlangen.

Sozialgerichte beschweren sich, dass 10 bis 20 Prozent der eingereichten Klagen seien überflüssig, und befürworten deshalb eine 75-Euro-Gebühr als »Abschreckung«.
Ich kann das nicht nachvollziehen. Vor einem Gerichtsverfahren gibt es bei den Sozialversicherungsträgern Widerspruchsverfahren, die in der Regel zur Klärung führen. Wenn ein Querulant nachweisbar ständig aussichtslose Klagen einreicht oder Missbrauch betreibt, muss er schon heute zahlen.

Gibt es eine Alternative, die Sozialgerichte zu entlasten?
Auch wir befürchten eine Klageflut nach der Einführung von Hartz IV. Aber dafür sieht das Gesetz eine Übergangslösung vor, die bis 2008 begrenzt ist. Für Klagen, die Hartz IV betreffen, sollen die Länder bei ihren Verwaltungsgerichten entsprechende Spruchkörper einrichten können, die wie Sozialgerichte arbeiten. Zeitgleich sollen Verwaltungsrichter, die wegen der zurückgegangenen Zahl von Asylverfahren weniger Klagen haben, umgesetzt werden, so dass dann wieder die ordnungsgemäße Sozialgerichtsbarkeit tätig werden kann - möglicherweise mit einer besseren Stellenausstattung.

Halten Sie es für möglich, dass die Proteste gegen Hartz IV die Regierung zu weiteren Änderungen bewegen, so bei der Zumutbarkeit?
Es geht nicht nur um Zumutbarkeitsregeln. Es geht auch um die materiellen Leistungen und um die Anrechnung von Vermögen, um die Altersvorsorge und den Vertrauensschutz für Ältere. Da werden wir nicht lockerlassen.

Nochmal: Sehen Sie eine Chance, dass die Proteste Erfolg haben und Änderungen herbeiführen?
Das will ich hoffen. Und es ist ja schon einiges in Bewegung gekommen bei der Frage Auszahlungstermin und Anrechnung von Einkommen für die Ausbildungsversicherung von Kindern. Es ist uns auch zugesichert worden, dass wir im Rahmen der Durchführungsbestimmungen noch mal über die 58er Regelung reden. Wir brauchen mehr Vertrauensschutz, auch und vor allem bei der Altersvorsorge. Ich hoffe, dass da noch einiges möglich sein wird.

Die Regierung scheint derzeit generell zurückzurudern. Die Zusatzversicherung für den Zahnersatz liegt auf Eis. Schafft das Spielraum für andere Bereiche?
Schwer zu sagen, denn die Zusatzbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist damit ja nicht vom Tisch. Es ist aber ein gutes Signal, dass die Kopfpauschale für den Zahnersatz zunächst gescheitert ist. Die Union hat die Minipauschale von Frau Merkel seinerzeit durchgesetzt. Wenn die fällt, kann man das nur begrüßen. Sie hätte ein unsinniges Verwaltungsmonster bedeutet und natürlich eine ungerechte Belastung.

Und die Bürgerversicherung - wird diese je kommen?
Die Einführung der Bürgerversicherung ist eine erklärte Absicht der SPD. Im Parteivorstand hat die Eckpunkte einvernehmlich beschlossen. CDU und CSU müssen sich überhaupt erst einmal einig werden. Dann werden wir vielleicht zum Ende dieses Jahres die Auseinandersetzung mit der Kopfpauschale der Union haben. Ich glaube, dass die Bürgerversicherung eine bei weitem bessere und sozialgerechtere Alternative ist. Darüber hinaus werden wir - wie gesagt - alles daran setzen, auch bei den Arbeitsmarktreformen im Wege der weiteren Umsetzung Korrekturen zu erreichen, die den Interessen der Betroffenen eher Rechnung tragen.

Um welche Punkte geht es noch?
Die öffentliche geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose muss zielgenau ausgeweitet werden. Denn es darf weder Lohndumping noch Mitnahmeeffekte geben. Reguläre Arbeitsverhältnisse dürfen nicht vernichtet werden. Sonst hätten alle mit Zitronen gehandelt. Dafür werden wir uns einsetzen.

Wenn es zu keinen Korrekturen bei Hartz IV kommt, werden sich die Gewerkschaften dann mit einer möglichen Mindestlohnregelung zufrieden geben?
Beim Thema Mindestlohn werden die Gewerkschaften mit der SPD darüber im Gespräch bleiben, ob und in welcher Form eine solche Regelung vertretbar wäre. In keinem Fall darf die Tarifautonomie tangiert werden, und die branchenmäßigen Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Hierzu will eine Arbeitsgruppe von SPD und Gewerkschaften bis Ende November Vorschläge erarbeiten.ND: Zu den sozialen Einschnitten im Rahmen von Hartz IV passt auch die von Baden-Württemberg eingebrachte Bundesratsinitiative, wonach jeder, der bei einem Sozialgericht Klage einreichen will, erst eine Gebühr von 75 Euro zahlen muss. Wie bewerten Sie das?
Engelen-Kefer: Wir warnen davor und empfehlen der Koalition dringend, hier nicht mitzumachen. Schließlich handelt es sich vielfach um Kläger, die keine großen Einkommen oder Vermögen haben. Und es geht es oft um kleine Beträge. Arbeitslose, kranke Menschen oder Behinderte ringen um jeden Euro. Außerdem werden meist Leistungen eingeklagt, die von Sozialversicherungen hätten bezahlt werden müssen. Die Rechtsansprüche haben die Betroffenen selbst über Beitragszahlungen erworben. Es geht nicht um irgendwelche Almosen. Wer das Gericht einsetzen muss, um zu seinem Recht zu kommen, von dem kann ich nicht auch noch Geld verlangen.

Sozialgerichte beschweren sich, dass 10 bis 20 Prozent der eingereichten Klagen seien überflüssig, und befürworten deshalb eine 75-Euro-Gebühr als »Abschreckung«.
Ich kann das nicht nachvollziehen. Vor einem Gerichtsverfahren gibt es bei den Sozialversicherungsträgern Widerspruchsverfahren, die in der Regel zur Klärung führen. Wenn ein Querulant nachweisbar ständig aussichtslose Klagen einreicht oder Missbrauch betreibt, muss er schon heute zahlen.

Gibt es eine Alternative, die Sozialgerichte zu entlasten?
Auch wir befürchten eine Klageflut nach der Einführung von Hartz IV. Aber dafür sieht das Gesetz eine Übergangslösung vor, die bis 2008 begrenzt ist. Für Klagen, die Hartz IV betreffen, sollen die Länder bei ihren Verwaltungsgerichten entsprechende Spruchkörper einrichten können, die wie Sozialgerichte arbeiten. Zeitgleich sollen Verwaltungsrichter, die wegen der zurückgegangenen Zahl von Asylverfahren weniger Klagen haben, umgesetzt werden, so dass dann wieder die ordnungsgemäße Sozialgerichtsbarkeit tätig werden kann - möglicherweise mit einer besseren Stellenausstattung.

Halten Sie es für möglich, dass die Proteste gegen Hartz IV die Regierung zu weiteren Änderungen bewegen, so bei der Zumutbarkeit?
Es geht nicht nur um Zumutbarkeitsregeln. Es geht auch um die materiellen Leistungen und um die Anrechnung von Vermögen, um die Altersvorsorge und den Vertrauensschutz für Ältere. Da werden wir nicht lockerlassen.

Nochmal: Sehen Sie eine Chance, dass die Proteste Erfolg haben und Änderungen herbeiführen?
Das will ich hoffen. Und es ist ja schon einiges in Bewegung gekommen bei der Frage Auszahlungstermin und Anrechnung von Einkommen für die Ausbildungsversicherung von Kindern. Es ist uns auch zugesichert worden, dass wir im Rahmen der Durchführungsbestimmungen noch mal über die 58er Regelung reden. Wir brauchen mehr Vertrauensschutz, auch und vor allem bei der Altersvorsorge. Ich hoffe, dass da noch einiges möglich sein wird.

Die Regierung scheint derzeit generell zurückzurudern. Die Zusatzversicherung für den Zahnersatz liegt auf Eis. Schafft das Spielraum für andere Bereiche?
Schwer zu sagen, denn die Zusatzbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist damit ja nicht vom Tisch. Es ist aber ein gutes Signal, dass die Kopfpauschale für den Zahnersatz zunächst gescheitert ist. Die Union hat die Minipauschale von Frau Merkel seinerzeit durchgesetzt. Wenn die fällt, kann man das nur begrüßen. Sie hätte ein unsinniges Verwaltungsmonster bedeutet und natürlich eine ungerechte Belastung.

Und die Bürgerversicherung - wird diese je kommen?
Die Einführung der Bürgerversicherung ist eine erklärte Absicht der SPD. Im Parteivorstand hat die Eckpunkte einvernehmlich beschlossen. CDU und CSU müssen sich überhaupt erst einmal einig werden. Dann werden wir vielleicht zum Ende dieses Jahres die Auseinandersetzung mit der Kopfpauschale der Union haben. Ich glaube, dass die Bürgerversicherung eine bei weitem bessere und sozialgerechtere Alternative ist. Darüber hinaus werden wir - wie gesagt - alles daran setzen, auch bei den Arbeitsmarktreformen im Wege der weiteren Umsetzung Korrekturen zu erreichen, die den Interessen der Betroffenen eher Rechnung tragen.

Um welche Punkte geht es noch?
Die öffentliche geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose muss zielgenau ausgeweitet werden. Denn es darf weder Lohndumping noch Mitnahmeeffekte geben. Reguläre Arbeitsverhältnisse dürfen nicht vernichtet werden. Sonst hätten alle mit Zitronen gehandelt. Dafür werden wir uns einsetzen.

Wenn es zu keinen Korrekturen bei Hartz IV kommt, werden sich die Gewerkschaften dann mit einer möglichen Mindestlohnregelung zufrieden geben?
Beim Thema Mindestlohn werden die Gewerkschaften mit der SPD darüber im Gespräch bleiben, ob und in welcher Form eine solche Regelung vertretbar wäre. In keinem Fall darf die Tarifautonomie tangiert werden, und die branchenmäßigen Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Hierzu will eine Arbeitsgruppe von SPD und Gewerkschaften bis Ende November Vorschläge erarbeiten.

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