Reigen auf Englisch in kaltem Blau

Theater Zerbrochene Fenster präsentiert Arthur Schnitzlers Aufreger modern

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 2 Min.
Arthur Schnitzlers alter »Reigen« (1897 erstmals veröffentlicht) gibt sich modern. Das Theater Zerbrochene Fenster präsentiert den Zyklus um sexuelle Beziehungen über Klassengrenzen hinweg in einer englischsprachigen Fassung von David Hare. »The Blue Room« heißt das Stück nun, von Mitgliedern des OM theAtre auf die Kreuzberger Bühne gebracht. Hare hat das einstige Skandalstück in die heutige Zeit adaptiert und auf zwei Personen reduziert, die in die fünf Rollen schlüpfen. Es spielen die OM theAtre-Gründerin Kirsten Wendeborn und der US-Amerikaner Eric Wheelis in der Regie von J.C. Islander. Wer englisch versteht und das Stück kennt, wird gleich wissen, was der Regisseur sagen will, wenn er den Bühnenraum meist in kaltes Blaulicht taucht. Handwerklich versiert, mit der verlangten Distanz zur über das Körperliche hinausgehenden Liebe, bringen Wendeborn und Wheelis den Reigen daher: Der Taxifahrer kopuliert mit der Prostituierten, der Taxifahrer stößt auf das Au-pair-Mädchen, das Au-pair-Mädchen lässt sich auf einen One-Night-Stand mit dem Studenten ein... Das alles wird zwar mit der notwendigen Portion Ironie dargestellt, aber Schnitzlers damaliger Aufreger über die Verhaltensklischees der Menschen ist doch arg überholt. Die Wertmaßstäbe haben sich in 100 Jahren nun einmal verändert. Schnitzler (1862-1931), von der damals aufkommenden Psychoanalyse Sigmund Freuds beeinflusst, wollte »in die Abgründe des Seelischen« leuchten. So entstand ein Bilderbogen über Doppelmoral und Heuchelei, Triebhaftigkeit und Vergänglichkeit der Liebe, ein Reigen von Personen, die nur durch Sexualität miteinander verbunden sind. In zehn Dialoge packt Schnitzler die Gespräche von Paaren vor und nach dem Geschlechtsakt. Nach der Erstveröffentlichung löste der »Reigen« einen Skandal aus. Eine Aufführung des Stücks wurde verboten. 1921 führte der »Reigen« in Berlin ebenfalls zu einem Prozess wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Erst 1950 kam der umstrittene Stoff zum Durchbruch mit Max Ophüls Literaturverfilmung. In den Hauptrollen Adolf Wohlbrück, Simone Signoret, Danielle Darrieux, Daniel Gelin, Jean-Louis Barrault und Gérard Philippe. Hares Adaption »The Blue Room« wurde erstmals 1998 in London und New York mit Nicole Kidman und Ian Glen aufgeführt. 3.-6.9., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg
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