nd-aktuell.de / 27.02.1996 / Kultur / Seite 10

Es ist. als ob wir im eigenen Saft schmoren

Foto: Robert Grahn

„Die kleinen Prinzen“ aus Berlin auf der Musikmesse

Am Sonntag in den Hallen des Fernsehturms am Berliner Alexanderplatz: Rund 15 000 Freunde der leichen Muse drängeln sich bei der 1. Verkaufsmesse und Kontaktbörse „Musik aus dem Osten“. „Die Messe war längst überfällig“, freut sich Veranstalter Norbert Rahmlow von der Nora Classic Company. „40 Jahre DDR lassen sich nicht einfach wegwischen. Das Bedürfnis nach der alten Kultur ist enorm.“

Der bekennende 68er aus Kreuzberg muß es wissen. Sein Plattenladen in der Friedrichstraße „Unter den Gleisen“ verkauft ausschließlich Ostprodukte - Und nicht nur die neuen Scheiben von Amiga-Marketing mit alten Songs. Als 1991 die staatlichen Institutionen samt ihrer Archive abgewickelt wurden, kaufte er wahllos das in der DDR entstandene Liedgut. Was einst für den Häcksler bestimmt war, wird heute trotz - oder gerade wegen - des Stempels „Parteihochschule X“ zum Höchstpreis gehandelt.

Rahmlow ist nicht der einzige Westler auf dieser Messe, der damals dachte: „So können die doch nicht mit Ihrer eigenen Kultur umgehen“ - und den Markt der Zukunft ahnten. Auch Klaus Wehrs, als Händler des alternativen Plattenladens „Tausend Klänge“ nun im Berliner Prenzlauer Berg ansässig, macht in den drei Tagen gute Umsätze. Wieviel, verrät er

nicht. Für die „electra 1“ muß der Sammler 70 Mark hinlegen. An seinem Stand trifft man viele freudige Gesichter. Eine Dame im reifen Alter z.B. strahlt über die Frederic-LP „Ich will dir eine Rose sein“ Vier Jahre läuft sie danach. „Meine Kinder schenkten mir alle Frederic-Platten. Eigentlich wollte ich nur die.“ Ein 29jähriger Reisekaufmann erwischt „Live aus Sachsen“ mit den Puhdys. Warum kommt die nicht auf CD“, klagt er. Klar, daß Klaus Wehrs die Messe „oberaffengeil“ und „eine dringende Notwendigkeit“ findet. Extra aus Hamburg ist der Pflaumbaum-Vertrieb angereist. Der junge Chef um die 30 schloß erst bei einem einjährigen Praktikum mit der Ostmusik Bekanntschaft. Er sieht einen guten Markt vor allem für den Ostschlager der 50er bis 70er Jahre, kümmert sich aber auch um Talente wie Maja-Catrin Fritzsche. Käufer seiner Produkte kommen zu 90 Prozent aus den neuen Ländern - der Rest sind meist in den Westen übergesiedelte Ostler.

Die um die Weiterentwicklung der ostdeutschen Szene bemühten ostdeutschen Labels und zum Teil auch Künstler kamen mit gemischten Gefühlen zu dieser Messe. Charly Ocasek von „Barbarossa“ will aus der Schublade Ost heraus. Die hier entstandenen Kontakte möchte er aber nicht missen, z. B. „mit einem 20jährigen Typ. Der hat

mir den Tip zu einer Heavy Metal-Serie DDR gegeben.“ Klaus Koch von Buschfunk stört der globale Titel der Messe. Er bedauert, daß die vielen Einzelkämpfer sich nicht zu „einer konkreten Sache“ zusammenfanden. Er denkt dabei an ein ausgewogenes Konzept mit Veranstaltungen überall in Berlin - und an eine Diskussion mit Rundfunkleuten - „für 99:1. Die Künstler wären schon froh, wenn 1 Prozent Ostmusik in den Medien laufen würde.“ Manager Raik Zöllner fühlt sich deplaziert mit seinem Stand. Er kann „mit dem Touch Ost nicht mehr viel anfangen“ In seiner Band spielen auch Westdeutsche. „Hier trifft man die Leute, die eh seit der Wende im Osten aktiv sind. Es ist, als ob wir im eigenen Saft schmoren.“ Auch Frank Schöbel hat Probleme mit der Separierung Ost „sechs Jahre nach der Einheit“. Die deutschsingenden Kollegen im Westen werden von den Sendern nicht ; weniger ignoriert. Seinem Publikum gibt er dann mit auf den Weg: „Langsam kommt der Stolz wieder, den wir ohnehin zu wenig hatten.“

Kaum noch einen Stehplatz gibt es bei den Kinderprogrammen mit Lacky, der Lütten und den anderen Künstlern von „Kinderwelt“. Umlagert sind auch die stündlichen Talks mit Prominenten, die vor allem aus dem Schlager- und Popbereich kommen. So erfährt man z. B., daß das Ener-

giebündel Kerstin Roger mit ihrer Tanzshow jüngst Chris Roberts den Beifall stahl: „Man braucht keinen Hit, um erfolgreich zu sein.“ Die Altrocker von Karat verkünden, daß sie nun China erobern wollen. Die Puhdys haben es bereits getan. Stern Meißen versucht mit dem um den Kopf wandernden Sound der Quadrophonie, anknüpfend an die Konzerte der

70er Jahre, ein Comeback. Tino Eisbrenner knallt Jürgen Karney die berühmte rote Mütze als Jessica-Markenzeichen auf den Tisch: Seit Jahren wiederkehrende Journalistenfragen nerven. Er ist längst Eisbrenner und probiert sich an anspruchsvolleren Sachen als Popliedchen, z. B. an einem Projekt mit dem bulgarischen Geiger Joro Gogow (City) und

dem für große Melodie bekannten Akkordeonisten Tobias Morgenstern. Dirk Michaelis, der ein eigenes Label gründete, um Kompromissen mit Plattenfirmen vorzubeugen,, stöhnt auch: „Ich hoffe, wir reden endlich darüber, was Ostkünstler jetzt tun, statt was sie getan haben.“

Norbert Rahmlow will die Messe auch anderswo im Osten

stattfinden lassen - und der nächsten im Herbst in Berlin Fachtage vorschalten. BMG Ariola/Amiga-Marketing zog sich als Mitveranstalter zurück. Auch sie planen eine Ost-Musikmesse. Das Major-Label denkt zunächst an den Rockpalast am 16. Mai mit Oststars wie Prinzen, Puhdys und Zöllner.

CHRISTINE WAGNER