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Er mochte ihn nicht, den windigen „Wie's-beliebt-Schr eiber

  • WALDEMAR SCHUPP
  • Lesedauer: 6 Min.

Franz Mehring (1846-1919)

Foto: ND-Archiv

Er verstand sich als Parteijournalist. Auch sein gesamtes schriftstellerisches Schaffen ist „als Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit“ zu betrachten. Die Rede ist von Franz Mehring, geboren am 27 Februar 1846 in Schlawe (Pommern). Wesentliche Aufgabe der Parteipresse war seiner Ansicht nach, wie er in einer Artikelserie „Partei und Presse“ im Jahre 1914 ausführte, daß durch sie die Massen der Partei ihre offiziellen Vertreter kontrollieren. Deshalb brauche die Kritik nicht unfehlbar zu sein, noch mag sie den Offiziellen immer angenehm sein. „Aber was tut das, wenn sie sonst Hand und Fuß hat?“ Eines allerdings konnte und wollte er niemals akzeptieren: den windigen „Nach-rechts-und-linksganz-wie's-beliebt-Schreiber“, der seine Artikel in alle Richtungen verkauft, um angenehm zu leben.

Nach Abbruch des Studiums der klassischen Philologie an der Berliner Universität im Jahre 1869 entscheidet sich Franz Mehring im Alter von 23 Jahren für den Berufsweg als Journalist. Seine ersten journalistischen Erfahrungen sammelt er an der Seite solcher radikaler bürgerlicher Demokraten wie Johann Jacoby und Guido Weiss. Über die Jacobyten kommt er auch schon mit den „Eisenachern“, mit August Bebel und “Wilhelm Liebknecht, in Berührung. Dabei zeigt sich, daß der junge - wie später der auch alte - Mehring kein langweiliger Geselle und durchaus keiner Zechtour abhold ist, so daß sich Bebel in seinen Erinnerungen noch gut auf dessen Trinkfestigkeit besinnt.

Über zwanzig Jahre lang ist Mehring dann für verschiedene demokratische und liberale bürgerliche Zeitungen tätig und entwickelt sich zu einem der bekanntesten und gewandtesten Publizisten seiner Zeit, dem ein Eintreten für Fortschritt, Gerechtigkeit und sozialpolitische Forderungen ein tiefes Bedürfnis war Als ständiger Mitarbeiter (ab 1884, später _ Chefredakteur) der linksliberalen Berliner Volks-Zeitung beteiligt er sich am Kampf gegen das Sozialistengesetz. Bezeichnend ist, daß auf Grund zweier seiner Leitartikel die Volks-Zeitung als einziges bürgerliches Presseorgan auf der Grundlage des Sozialistengesetzes zeitweilig verboten wird.

Über das gleichzeitige Studium von Werken Karl Marx' vollzieht sich kontinuierlich sein Weg zur deutschen Arbeiterbewegung und auch zur Methode des historischen Materialismus, so daß kaum von einer spontanen Konversion gesprochen werden kann, was ihm später von revisionistischer Seite vorgeworfen wird. Übrigens fasziniert ihn auch Marx' Persönlichkeit, eine Marx-Biographie zu verfassen, läßt ihn seit 1885 nicht mehr los: „Wäre Marx in der Tat der langweilige Musterknabe gewesen, den die Marxpfaffen in ihm bewundern, so hätte es mich nie gereizt, seine Biographie zu schreiben... Ihn in seiner mächtig-rauhen Größe nachzuschaffen, war die Aufgabe, die ich mir gestellt habe.“ Seine Marx-Biographie erscheint 1918.

Im gereiften Alter von 45 Jahren tritt Mehring 1891 in die Redaktion der Neuen Zeit, der von Karl Kautsky geleiteten „Revue des geistigen und öf-

fentlichen Lebens , der theoretischen und wissenschaftlichen „Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie“ ein, für die er in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten überwiegend unsignierte und mit einem Pfeil versehene „Spitzartikel“, außerdem

Theaterkritiken und Rezensionen verfaßt. Vor allem seine regelmäßig wöchentlich erscheinenden Leitartikel werden interessiert erwartet, erfreuen sich einer breiten Resonanz bei Freund und Feind.

Später wird ihm noch die Verantwortung für den neu eingerichteten Feuilletonteil übertragen. Darüber hinaus wirkt er von 1902 bis 1907 als Schriftleiter (Chefredakteur) der Leipziger Volkszeitung, die er zur besten Arbeiterzeitung im damaligen Deutschland gestaltet. Weitere Beiträge von ihm finden sich in der Zürcher Post, in der Volksbühne, im Vorwärts, im Wahren Jacob und in Grünbergs Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung.

Immerhin entflossen seiner fleißigen und flüssigen Feder weit über tausend Artikel zu tagespolitischen, historischen und literarischen Themen. Er wird zum fruchtbarsten, unermüdlichsten und gesuchtesten Journalisten der Sozialdemokratie. Dazu Eduard Fuchs als sein Nachlaßbearbeiter: „Was Mehring schrieb, war schon vor der Niederschrift aufs reiflichste reif durchdacht, er war ein solcher Meister der Sprache, daß schon die erste Fassung seiner Gedanken so vollendet war, daß sie sofort in die Presse gehen konnte.“ Sein brillanter Stil sei geprägt von einfacher, anschaulicher und bildhafter Ausdrucksweise: „Die Sprache ist das Kleid der Gedanken, und wo die Gedanken einen geraden, schlanken Wuchs haben, da braucht man keine Sorgen zu haben, daß auch ihr Gewand in anmutigen Falten fließt.“

Als Polemiker führt Mehring eine scharfe Klinge. Er setzt sich leidenschaftlich ein für Verkannte und Geächtete, für die Wiedergutmachung von Unrecht, was anderen widerfuhr. Mehrfach wird Mehring mit Zensur und Preßprozessen konfrontiert. Verstärkt passiert dies während seiner Tätigkeit in der Leipziger Volkszeitung, wobei seine rechtliche Vertretung meist vom Anwaltsbüro der Gebrüder Liebknecht wahrgenommen wird. Zwar waren durch das Reichspreßgesetz von 1874 einige Einschränkungen aufgehoben worden, es wurde aber nicht die vom Bürgertum geforderte und 1848 zeitweilig errungene Pressefreiheit wiedereingeführt. Er muß feststellen, daß „die erste Freiheit der Presse darin besteht, kein Gewerbe zu sein“ und daß diese Bourgeoi-

siepresse der Arbeiterpresse „technisch immer überlegen, überlegen in der Fixigkeit, aber nicht in der Richtigkeit“ sein wird.

Mit der Ausbreitung des Revisionismus gerät Mehring immer stärker in Gegensatz zum „Mehrheitskurs“ der Partei; in Verbindung damit wird er 1912/13 aus den bedeutenden Presseorganen der Partei, an denen er bisher mitgearbeitet hat, bewußt hinausgedrängt. Den Versuchen, gemeinsam mit Rosa Luxemburg in Form der Sozialdemokratischen Korrespondenz und der Zeitschrift Die Internationale ein Presseorgan der Linken zu gründen, ist kein dauerhafter Erfolg beschieden. Mehrings Beiträge finden nur noch in kleineren regionalen linken Blättern Aufnahme. Nach Übergang der Leipziger Volkszeitung unter die Regie der USPD kann er 1917/18 allerdings nochmals an alter Stätte tätig werden. Die Mehrzahl der hier erscheinenden Aufsätze werden von ihm in einer Schrift mit dem Titel „Kriegsartikel“ als Zeugnis seines Kampfes gegen den imperialistischen Krieg zusammengefaßt. Seine letzte journalistische Wortmeldung erfolgt im November und Dezember 1918 mit einer Artikelserie in der Roten Fahne über seine Erlebnisse in der von ihm im Alter von 70 Jahren (!) erduldeten viermonatigen „militärischen Schutzhaft“

Mit vorgerücktem Alter engagiert er sich als Politiker in der innerparteilichen Antikriegsopposition, wird führendes Mitglied des Spartakusbundes und hat damit Anteil an der Formierung der Linken. In der Nachfolge des inhaftierten Karl Liebknecht entschließt sich Mehring 1917, eine Dop-

pelkandidatur bei den Ersatzwahlen zum Reichstag (für den Kaiserwahlkreis Potsdam-Spandau-Westhavelland) und zum Preußischen Abgeordnetenhaus (für Berlin Xl/Wedding) zu betreiben; mehrheitlichen Erfolg erreicht er jedoch nur für ein Mandat des Abgeordnetenhauses.

Lebhaft begrüßt er, wie schon 1905, die Russische Revolution und beteiligt sich noch, als gesundheitlich gebrochener Mann, an der Vorbereitung der Gründung der KPD. Schwer getroffen vom Meuchelmord an seinen Mitstreitern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verstirbt der „Alte“, wie er von seinen Freunden genannt wird, an den Folgen einer Lungenentzündung in der Nacht vom 28. zum 29 Januar 1919 im 73. Lebensjahr in Berlin-Grunewald.

In der Nachwirkung lassen sich drei Linien erfassen: Am Ende der Weimarer Zeit wird er aus stalinistischer Sicht abgelehnt, und dies geschieht „in schärfster Kritik“ ausgerechnet aus der Feder von Georg Lukacs. In der DDR erfolgt Mitte der 50er Jahre eine Korrektur dieses Mehring-Bildes, verbunden mit einem Rückbesinnen auf seine Schriften und auf sein Wirken. Auch in der Bundesrepublik beschäftigen sich einige Arbeiten mit der Interpretation seines Schaffens. Die Rezeption findet ihren Niederschlag in drei Werkausgaben, im Nachdruck seiner einzelnen, Werke (auch im Ausland, so verzeichnet „Karl Marx“ bis heute immerhin über 60 fremdsprachige Ausgaben) sowie in einer Vielzahl von Büchern, von Artikeln über ihn bis in die jüngste Zeit.

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