nd-aktuell.de / 27.02.1996 / Politik / Seite 12

Eine zu einfache juristische Verrechnung

Mögen meine Bemerkungen zur Anklage nicht als ein Feilschen gedeutet werden, wo es doch um Menschenleben gegangen ist. Es sind generelle und punktuelle Erwiderungen auf ebensolche Anschuldigungen. Ich habe öffentlich nicht nur einmal gesagt, daß keine Weltverbesserungsideologie es rechtfertigen könne, daß ihretwegen auch nur ein Mensch mit dem Leben bezahlen müßte. Das trifft für jeden Toten an der Mauer zu, der starb, weil er nicht willens war, unsere Zwangsbeglückung anzunehmen.

Ich wiederhole es: Gegenüber jedem dieser Toten fühle ich moralische Schuld. Dieses Gefühl der Schuld wird mich wohl immer begleiten. Aber ich kann nicht hinnehmen, zum Schreibtisch-Totschläger erklärt zu werden. Das scheint mir eine zu einfache juristische Verrechnung der vielschichtigen politischen, sozialen und psychologischen Umstände zu sein, die sich mit dem Begriff DDR, mit europäischer Nachkriegspolitik und mit meinem eigenen Weg in und aus diesem verloschenen Staat verbinden.