nd-aktuell.de / 27.02.1996 / Politik / Seite 12

Illusionen, die PDS und die normative Kraft des Faktischen

Mein Verdikt ist vor allem Selbstvorwurf. Daran habe ich in,meinen Veröffentlichungen keinen Zweifel gelassen. Ich mußte mit mir selbst ins Gericht gehen und ins Reine kommen. Ein wenig hoffte ich damals auch, andere SED-Mitglieder ermutigen zu können, sich aus ihrem Gespinst von Verbiesterung und Scham zu entfesseln. Das Letztere war eine Illusion. Sie ist heute vollends lächerlich und sinnlos geworden, wo sich die PDS mit relativen Stimmengewinnen auf die „normative Kraft des Faktischen“ beruft und damit Erfolg hat. Die einen haben sich leicht geschüttelt und setzen da fort, wo sie vor sechs Jahren vom Volk einen Knüppel zwischen die Hörner bekommen haben; die anderen sind von den Problemen der Einheit getrieben und haben keine Zeit mehr für solcherlei politische Esoterik.

Ich gestehe, daß mich die Denkfaulheit und -feigheit nicht weniger Betroffener, aber auch der laute und ziemlich folgenlose Ruf nach „Aufarbeitung“ - ausgenommen eine Reihe von Journalisten und vor allem Dr. Rainer Hildebrand - gelegentlich in Rage gebracht und zu einem unfeinen Bild verleitet hat. Aber es geht nicht um Bilder, sondern um Wertungen! Mein Urteil über die DDR will und kann gar nicht herabsetzen, was an Beachtlichem und Engagiertheit auch von vielen in der DDR vollbracht wurde, die ohne Alternative in diesem System arbeiteten, ihr Leben einrichten mußten und dabei so etwas wie Identifikation, nicht mit der offiziellen Politik, wohl aber mit den Umständen ihres Daseins, mit gemeisterten Widrigkeiten, mit eigener Leistung trotz dürftiger Voraussetzungen, vielleicht auch mit menschlicher Solidarität, entwickelt haben.