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Modrow und die Ironie der Umstände

  • Lesedauer: 2 Min.

Als ein absurdes Spektakel empfinde ich, was bei Prozessen dieser Art schon zum Begleitritual geworden ist: Die Bekundungen rückwärtsgewandter Verstocktheit, in die sich auch Beschimpfung und Haß gegen meine Person mischen. Da werden Ankommenden vor dem Gericht Flugblätter aufgedrängt, in denen es über mich heißt: „Am 9 November leitete er den Fall der Mauer ein und verhalf der Wende und den westdeutschen Okkupanten zum Sieg. Jetzt hat der Wendehals die Besatzerjustiz am Hals“.

Herr Modrow, eine Galionsfigur dieser trostlosen Nostalgücer, der Honecker nicht gestürzt und die Mauer nicht geöffnet hat, fand sich zwar nicht vor dem Portal in der Turmstraße ein. Aber unmittelbar vor Prozeßbeginn gab er im „Neuen Deutschland“ seinen Anhängern ein Signal: Er nannte mich „keine ehrenwerte Person“ (ND vom 11./12. November 1995), also jemanden, auf den man einschlagen kann. Der Biedermann versucht sich als Scharfmacher. Nach aller politischen Logik kommt ein solcher Anwurf aus diesem Munde einer unfreiwilligen Ehrenerklärung gleich. Er offenbart, daß sich ganz wie früher Honoratioren dieses Schlages noch immer die Verketzerung von sogenannten Abweichlern anmaßen.

Modrow und seine Parteigänger würden mich wohl gern noch einmal aus der Partei ih-

res Typs ausschließen und besser noch - mir den Prozeß machen, wenn sie könnten. Daß sie es nicht können, ist schon ein Fortschritt. Ich erwähne dieses skurrile Rahmenprogramm, weil sich darin die Ironie der Umstände offenbart. Gibt es der Anklage nicht zu denken, daß sie sich, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt, in der Fixierung auf Schabowski mit diesen Fäustchenreckern in einer Blickrichtung findet?

Mit meinen Aussagen über die entschlafene DDR ernte ich von bestimmter Seite den Vorwurf, die einstigen Normalbürger der DDR zu schmähen. In der Tat mag 'ich mich z. B. nicht darauf berufen, daß die DDR so etwas wie ein heimlicher „dritter Tarifpartner“ in der Bundesrepublik war. Heute wissen wir doch alle, daß die DDR zu ihren sozialen Leistungen und Sicherheiten aus konstitutioneller Schwäche nur um den Preis einer enormen Auslandsverschuldung imstande war, die letztlich ihren politischen Bankrott mit verursacht hat.

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