nd-aktuell.de / 27.02.1996 / Brandenburg / Seite 19

Späte „Faust“-Premiere

Konzert der Hochschule wurde durch engagierte Suche möglich

So also ging es in den edelsten Stummfilmtheatern von dunnemals zu: Ein 50-Mann-Orchester auf der Bühne, dazu gar noch ein Organist. In Flohkinos war's nur die Hammondorgel, häufiger das Klavier Da empfindet man kaum, daß es Film ohne Sprache ist.

Und hat man es mit Schauspielern wie Emil Jannings (Mephisto) und Camilla Hörn (Gretchen) zu tun und mit einem Regisseur wie Friedrich Wilhelm Murnau, dann genügen bei klarer Handlungsführung, beredter Gestik und enormer Technik vor schon 70 Jahren die eingeblendeten Texte. Die stammen von Hans Kyser, teils von Murnau.

Eine Besonderheit war die Film- und synchrone Filmmusik-Vorführung zum Ende der Berlinale im Konzertsaal der Hochschule der Künste mit „Faust. Eine deutsche Volkssage“ Eine Premiere in dieser Fassung. Denn als Mitte 1926

Murnau Berlin gen Hollywood auf immer verließ, machten sich UFA-Leute an Veränderungen seiner Schnittfassung. Auch, aber nicht vorrangig aus technischen Gründen. Verkauft wurden ins Ausland Versionen aus Material, das der Regisseur weggeworfen hatte. So entstand ein falsches Bild seiner Intentionen. Selbst die veränderte deutsche Fassung ist unvollständig erhalten, mit dänischen Texten. Aber es gibt noch eine zweite Version von Murnaus eigener Hand, eine amerikanische.

Die spanische Kinemathek gab Luciano Berriatüa den Auftrag für eine. Rekonstruktion der deutschen Fassung in Murnaus Sinne. Drei Jahre nahm das in Anspruch. Sieben Kopien mußten genutzt werden, um die eine neue zusammenzusetzen. Derweil suchten Berndt Heller und Theodor von Houten nach der dazugehörigen Musik. Davon gibt es drei Versionen: eine von Giuseppe

Becce, die nicht rechtzeitig bis zur Premiere fertig wurde, eine von Werner Richard Heymann, der Eigenes mit Repertoirestücken beispielsweise von Wagner und Strauss kombinieren mußte, und eine ähnliche von Paul A. Hensel.

Nur letztere, seinerzeit immer nur außerhalb von Berlin gespielt, konnte in ihrer Abfolge - 48 Stücke verschiedenster Komponisten zu 78 Sequenzen - anhand einer Filmzeitschrift wieder zusammengestellt werden. Das war das Ergebnis der Suche bei vielen Verlagen und in Archiven. Komplett und synchron zur Handlung spielte nun das Orchester der HdK unter Heller so, als täte es dergleichen ständig. Imponierend waren die saftigen „Baba Jaga“-Klänge Mussorgskis zum Pakt Faust-Mephisto. Ein Strauss-Lied mit Flöte und Violine kündigte den nächtlichen Besuch des Titelhelden bei Gretchen an.

LUCIE WALTER