nd-aktuell.de / 30.04.1996 / Politik / Seite 12

„Vor Groß-Berlin und Zweckverband bewahre uns des Kaisers Hand“

Ein Blick zurück in die märkische Geschichte läßt durchaus Zweifel an der Ehetauglichkeit der beiden Neu-Verlobten Brandenburg und Berlin aufkommen

Von Berlin & Brandenburger Fusions-Bejahern wird gern kolportiert, allein 1945, der Kalte Krieg und Mauerbau trügen Schuld an den Gegensätzen zwischen der Metropole und dem Flächenland. Aus historischer Sicht dagegen ist der Ballungs- und damit Spannungsraum Berlin samt Speckgürtel ein Ergebnis eines rasanten, durch die Industrielle Revolution verursachten Verstädterungsprozesses. Nicht ganz grundlos „auseinandergelebt“ - de facto und de jure

- hatte man sich schon vor mehr als 10Q Jahren.

Noch 1600 hatte die kurbrandenburgische Residenz etwa 9 000 Einwohner, 1750: 100 000, 1877 über eine Millionen und 1905 über zwei Millionen Einwohner. Der de facto

- nicht de jure - tiefste Schnitt zwischen Berlin & Brandenburg.war der 1. Oktober 1920, der Tag des Inkraftretens des von der Preußischen Landesversammlung mit knapper Mehrheit angenommenen Groß-Berlin-Gesetzes.

Die Metropole fraß die fettesten Happen ihres Umlandes; sie hegte ihren damaligen

Speckgürtel ein. Aus acht Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken entstand damals eine Einheitsgemeinde mit einer Fläche von rund 880 Quadratkilometern und knapp vier Millionen Alt- und Neuberlinern. Brandenburg blieben etwa 2,5 Millionen Einwohner auf damals rund 39 000 (heute rund 29 000) Quadratkilometer Fläche.

De jure allerdings änderte sich nicht viel. Verwaltungsrechtlich geschieden war nämlich bereits schon viel früher worden, am 1. April 1881! Berlin als nun selbständiger Stadtkreis schied damals aus dem Kommunalverband der

Preußischen Provinz Brandenburg formal aus.

„Vor Groß-Berlin und Zweckverband bewahre uns des Kaisers Hand“, begannen nach dieser Scheidung von 1881 die Charlottenburger, Spandauer und Teltower zu barmen, denn es wurde mehr und mehr offenkundig, wohin der Hase zu laufen begann. Von „oben“, von der Preußischen Staatsregierung, verordnet kam per 1. April 1912 dann ersteinmal dieser Zweckverband. Er schloß die Städte Berlin, Neukölln, Charlottenburg, Lichtenberg, Schöneberg, Wilmersdorf und Spandau mit den damals riesigen

Landkreisen Niederbarnim im Norden und Teltow im Süden zusammen. Zu seinen Aufgaben gehörten die Bauplanung, Verkehr und die Freiraumbewirtschaftung, wobei es unter anderem gelang, den Grunewald vor der Zersiedlung zu bewahren und den öffentlichen Personennahverkehr im Verflechtungsraum zu vereinheitlichen.

Dann, nach der Groß-Berlin-Erweiterung 1920, war die Vier-Millionen-Metropole saturiert und ließ die umliegende Provinz meist links liegen. Wenn überhaupt, kontaktierte man nur punktuell über die zunächst ausreichend weit gefaßten Stadtgrenzen hinaus. Strigent betonten auch die Nationalsozialisten die absolute Ausnahmestellung ihrer

Reichshauptstadt. Sie bildete mit dem 1. Januar 1937 einen „Stadtkreis mit den Aufgaben eines Provinzialverbandes“

Am 25. Februar 1947 lösten die alliierten Siegermächte den Freistaat Preußen offiziell auf. Aus der Provinz Brandenburg wurde das Land Brandenburg. Ab 1952 die drei märkischen Bezirke Potsdam, Cottbus,

Frankfurt/Oder, um mit dem 3. Oktober 1990 als Bundesland Brandenburg aufzuerstehen.

Als Sitz des Alliierten Kontrollrates war hingegen die Metropole damals schon als „special Berlin area“ als eigene Verwaltungseinheit aus der Zoneneinteilung herausgelöst.

Auch dies ebnete den Weg zur Westberliner Verfassung vom 1. September 1950. Ostberlin behielt als „Hauptstadt der DDR“ bis zur Vereinigung eine Sonderstellung bei. Es wurde nicht in die Bezirksorganisation eingegliedert.

Seither und bis heute (allerdings bis zum 3. Oktober 1990

mit mancherlei alliierten Vorbehaltsrechten) war und ist erst West-, dann das wiedervereinte Berlin einer von drei (die anderen sind Hamburg und Bremen) deutschen Stadtstaaten - ein (Bundes)Land und eine Großstadt zugleich.

ERNST ESPACH