Billy Wilder, der auf der Berlinale 1993 mit einem Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde
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Im Jahre 1987, bei einem Besuch in Berlin, erblickte Billy Wilder aus der Ferne eine Ehrentafel. Er glaubte, weil er einst in diesem Haus am Viktoria-Luise-Platz gewohnt hatte, sie gelte ihm. Doch das Schild erinnerte an den Musiker Ferruccio Busoni. Erst einige Zeit nach diesem Irrtum kam Wilder ebenfalls zu Ehren, direkt unter dem Komponisten, auf griechischem Marmor und mit brünierten Messingbuchstaben. In den Zwanzigern hatte Wilder hier anderthalb Jahre als Untermieter gehaust, in einem winzigen Zimmer, Wand an Wand mit einer ständig rauschenden Toilette: »Ich malte mir aus, es sei ein Wasserfall mit lauter nackten, hübschen Mädchen.« -Doch in jener Kemenate war ihm auch einer der größten Glücksfälle seiner Biographie widerfahren: Der junge Mann wurde sein erstes Filmmanuskript los, an Herrn Galitzenstein, Direktor der Maxim-Film, der sich des Nachts, nur in Unterhosen, zu ihm vorm wutschnaubenden Hahnrei der Wirtstochter geflüchtet hatte.
So ist sie wohl, Billy Wilders Vita: eine Sammlung von pointierten Anekdoten, teils wirklich passiert, teils nachträglich gut erfunden. Wobei die Lust, frei zu fabulieren, sicher mit allen Berufen zusammenhängt, die Wilder je ausgeübt hat. In der Weimarer Republik schlug er sich als Eintänzer und Zeitungsreporter durchs Leben und wurde dann ein erfolgreicher Drehbuchautor. Wenige Tage nach dem Reichstagsbrand verließ er Berlin; er war Jude und ahnte Schreckliches. Über Paris erreichte er Hollywood. Englisch sprach er damals nicht. Dennoch erkor ihn der renommierte Autor Charles Brackett zu seinem Kompagnon. Gemeinsam mit ihm verfaßte Wilder u.a. den Film »Ninotschka« von Ernst Lubitsch, einem Regisseur, der sein größtes Vorbild wurde - und blieb. »Wie würde es Lubitsch machen?« hängt seit Jahrzehnten als ständige Mahnung goldgerahmt über Wilders Schreibtisch. Und ein anderes Gebot gleich daneben: »Du sollst nicht langweilen!«
Das hat Wilder tatsächlich nie gemacht, nicht in Deutschland, wo er u.a. den halbdokumentaren Film »Menschen am Sonntag« (1929) oder den Kinderkrimi »Emil und die Detektive« (1931) mit verfaßte, noch in den USA. Seit 1942 arbeitete er hier auch als Regisseur. Wilder drehte nicht nur Heiteres, obwohl sein Name fast zum Synonym für Komödie wurde: dank »Das verflixte 7 Jahr« (1955), »Manche mögen's heiß« (1959), »Eins, zwei, drei« (1961) oder »Das Mädchen Irma la Douce« (1963). Er brillierte auch mit Krimis (»Frau ohne Gewis-
sen«/! 944, »Zeugin der Anklage«/1957) oder bitteren Psychodramen (»Boulevard der Dämmerung«/1950, »Reporter des Satans«/1951).
Seine Filme wurden oft als zynisch bezeichnet. Dabei entblößte er doch nur die Gesellschaft von den schillernden Gewändern des Euphemismus. In »Stalag 17« (1953) beschrieb er anhand des Mikrokosmos eines Kriegsgefangenenlagers das Klima der Bespitzelung und Denunziation in der McCarthy-Ära: Die vermeintlichen größten Patrioten sind zugleich die größten Gauner - Oder »Das Appartement« (1960), der gerade wegen seiner Komödienstruktur vielleicht der düsterste Film über den American Way of Life ist, der je in Hollywood entstand: Hinter der Fassade eines wohlgeordneten Universums - eines Bürohauses mit Tausenden in Reih und Glied ausgerichteten
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/615781.eine-vita-von-anekdoten.html