nd-aktuell.de / 15.10.1996 / Politik / Seite 3

Wessi im OSTEN Ossi im WESTEN

Peter Richter

Neben Formalien und der obligatorischen Fragestunde für Einwohner hat die Sondersitzung des Kreistages Rügen kommenden Donnerstag nur einen Tagesordnungspunkt: »Beratung und Beschlußfassung: Abberufung des 1. Beigeordneten, Herrn Dr. U. Knapp«. Eingebracht wurde dieser Antrag von der PDS und vom »Bündnis für Rügen«, einer bemerkenswerten Symbiose von Umweltschützern und Bauern. Beide Fraktionen hatten den Sozialdemokraten Udo Knapp vor zwei Jahren gegen verbissenen Widerstand der CDU als Vizelandrat durchgesetzt und damit zugleich ein loses Bündnis von SPD, PDS und grünen Bauern - nicht gerade häufig in der gegenwärtigen politischen Landschaft - besiegelt. Jetzt brauchen sie die CDU, um ihn wieder los zu werden. Ein politischer Scherbenhaufen, und jeder gibt dem anderen die Schuld.

Hört man die Ankläger, dann zeichnen sie ein absolutes Negativbild von Udo Knapp - mit scharfen Konturen und in grellen Farben. »Rechthaberisches und egozentrisches Verhalten«, eine »penetrante Intoleranz« wirft ihm PDS-Fraktionschef Gerhard Böhm vor. Er erhebe »Ausschließlichkeitsansprüche in bezug auf Sachkompetenz« und mache »Versuche der Disziplinierung andersdenkender Kreistagsmitglieder«. Kaum weniger deutlich sein Kollege Albrecht Kind vom »Bündnis für Rügen«. Für ihn ist Knapp ein »Diktator der schlimmsten Art«, der Kreistagsmitglieder »als Schachspieler betrachtet, mit denen er hin und her manipuliert, wie er es gerade will«. Unwillkürlich entsteht vor dem geistigen Auge ein geradezu prototypisches Bild des »Besserwessis«; dabei ist der so Gescholtene im Ursprung ein Ostprodukt.

Geboren in Altenburg, damals Bezirk Leipzig, heute Thüringen, kam er aus einer bürgerlichen Familie, der »besseren Gesellschaft«, wie er selbst sagt. Da prägten ihn Tanzschule und die Ablehnung des EOS-Besuchs, aber auch Produktionstag, Ernteeinsätze, Pioniererziehung. 1960 sah der 15jährige in der Kollektivierung der Landwirtschaft sogar einen persönlichen Kampfauftrag. »Die Bauern wollten nicht, wir fuhren mit dem LKW hin und agitierten. Ich habe das sehr genossen.«

Doch die Eltern hatten andere Pläne. Schon 1959 war der Vater in den Westen gegangen, am 12. August 1961, in letzter Minute, folgten Mutter und Sohn. Für Knapp war das damals eher ein Abenteuer. Über Friedland kam er nach Hannover, stieß aber schon damals auf eine Mauer Wegen seines Akzents wurde er gehänselt, mit anderen aus dem Osten war er in einer »Russisch-Klasse« isoüert. »Unter dieser >Ossi-Krankheit< habe ich gelitten.« Zum kritischen Blick auf den