nd-aktuell.de / 15.10.1996 / Politik / Seite 5

Querschüsse von der SPD-Fraktion

Die »Kronprinzenfrage« spielte zwischen Rau und Clement nie eine Rolle, bis sie jetzt Matthiesen aufs Tapet brachte. Er sprach sich nämlich vehement für Wolfgang Clement als Nachfolger Raus aus und brachte diesen damit unversehens in die Rolle des Königsmörders. Das aber paßte beiden Akteuren nicht in den Kram. Johannes Rau gab seine sprichwörtliche Zurückhaltung auf und kanzelte Matthiesen auf einer Fraktionssitzung ab: »Es hat mich geärgert - auch deshalb, weil die Freundschaft, die mich mit Wolfgang Clement seit vielen Jahren verbindet, für mich ein hohes Gut ist. Ich finde es nicht gut, wenn wir gegeneinander

gestellt werden.« Clement verbat sich ebenfalls »die Kronprinzerei«. Rau sei bis 2000 gewählt, sein Ansehen von niemandem zu erreichen: »Wir müßten von Sinnen sein, wenn wir das in Frage stellen.«

Daß Matthiesen einen solchen Vorstoß unternahm, führen viele auf sein Bemühen zurück, die Rolle der Landtagsfraktion gegenüber der Regierung einschließlich des Duos Rau/Clement zu stärken und zum eigentlichen Machtzentrum der SPD in Nordrhein-Westfalen zu machen. Denn in der Fraktion dominieren die Skeptiker der Rot-Grün-Variante, und Matthiesen selbst gibt immer wieder die Parole aus, daß bei den Wahlen im Jahre 2000 die absolute Mehrheit für die SPD zurückgewonnen werden müßte. Und wenn dies nicht gelingt, ist vielen der alten SPD-Haudegen das vom FDP-Landesvorsitzenden Möllemann angebotene sozial-liberale Bündnis sympathischer als eine Fortsetzung von Rot-grün. Zu solcher Strategie paßt, daß Matthiesen kaum eine Möglichkeit des Krachs mit den Grünen ausläßt. Und sogar manchen bewußt herbeiführt, so die jüngste Auseinandersetzung um den Braunkohlentagebau Garzweiler II, obwohl da derzeit gar kein Handlungsbedarf besteht. Und trotz Matthiesens Position vom März 1995, die Genehmigung für Garzweiler könne überprüft, erforderlichenfalls geändert und notfalls zurückgeholt werden.

Auch aus dem »Kronprinzen«-Streit versuchte der machtbewußte, mitunter zum Cholerischen neigende Fraktionschef letztlich noch Kapital zu schlagen. Denn die dazu zitierten Äußerungen stammen aus einem Tonbandmitschnitt von Regierungssprecher Lieb. Darauf reagierte Matthiesen sofort und verfügte, daß Redebeiträge in der Fraktion weder mitgeschnitten noch mitgeschrieben wer-

den dürften. Es gehe auch nicht an, daß Pressesprecher ohne Anmeldung an Fraktionssitzungen teilnähmen. Doch der Ministerpräsident konterte und verwies in scharfer Form darauf, daß er seine Äußerungen mitschneiden und mitschreiben lassen könne, um zu verhindern, daß er falsch zitiert werde.