nd-aktuell.de / 15.10.1996 / Politik / Seite 7

des Wettrüstens

Washington will die Schleusen öffnen Von Friedrich Mann Lateinamerika droht in den nächsten Jahren ein Wettrüsten bisher unbekannten Ausmaßes.

Washington, so William Perry jüngst am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister aus den USA, Kanada und 32 lateinamerikanischen Staaten im argentinischen Bariloche, werde wohl noch in diesem Jahr die politische Entscheidung treffen, künftig wieder hochmoderne Rüstungsgüter in die Region zu liefern. Denn dort gebe es inzwischen meist gefestigte demokratische Strukturen und keine schwelenden militärischen Konflikte zwischen den Staaten mehr. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: In Chile etwa sitzt General Pinochet noch immer in einer Schlüsselposition, in Paraguay drohen die Generäle noch immer ungestraft mit Putsch, und erst im Vorjahr gelang es nur mit großer Mühe, einen Krieg zwischen Ekuador und Peru zu verhindern.

Offiziell ging es bei dem Treffen - Kuba war vorsorglich gar nicht erst eingeladen worden - in erster Linie um Themen wie die Rolle des Militärs bei der Bekämpfung der Rauschgiftproduktion und des Rauschgifthandels, die Bildung einer interamerikanischen Truppe für den »Friedenseinsatz mit UNO-Mandat« und die Vertiefung der militärischen Zusammen-

arbeit. Und da sind die Standpunkte äu-ßerst verschieden. Uruguay etwa beharrt auf seiner Ablehnung einer interamerikanischen UN-Streitmacht. Entgegen der Initiative der USA, Kolumbiens und der Karibikstaaten zeigte sich eine von Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko angeführte Ländergruppe in Drogenfragen nur dazu bereit, dem Militär bei Fahndungseinsätzen logistische und nachrichtendienstliche Aufgaben zu übertragen. Und auf wenig Anklang stieß auch der Vorschlag Perrys für ein Ausbildungszentrum in den USA, wo zivile Staatsbeamte in der Überwachung des Militärsektors geschult werden. Das solle die Organisation Amerikanischer Staaten organisieren.

Doch stehen alle diese Themen hinter der Frage zurück, ob Lateinamerika an der Schwelle eines Wettrüstens steht, in dessen Folge das militärische Gleichgewicht erheblich gestört werden könnte. In Argentinien sieht man z. B. mit großer Besorgnis die chilenischen Pläne, in den USA kampfstarke Jagdflugzeuge vom Typ F-16 zu kaufen. Doch auch Buenos Aires hat schon eine lange Wunschliste, auf der u. a. Kampfhubschrauber, Transportflugzeuge und große Mengen Munition stehen. Offen bleibt auch, wie die Rüstungslieferungen bezahlt werden sollen. Es ist wohl zu erwarten, daß angesichts der Haushaltslage fast aller lateinamerikanischer Staaten weitere Kürzungen in den ohnehin knappen Sozialetats bevorstehen.