nd-aktuell.de / 27.11.2004 / Wissen

Durch Kopfschütteln den Weg finden

Oldenburger Biologen zeigen, dass Gartengrasmücken Magnetfeld der Erde »scannen«

Oldenburg (ND). Wenn Zugvögel während des Fluges regelmäßig ihre Köpfe schütteln, dann nicht, weil sie sich über die Welt unter ihnen wundern, sondern weil sie das Magnetfeld der Erde abtasten, um sich zu orientieren. Das jedenfalls schreiben Oldenburger Biologen im Fachjournal »Current Biology« (Bd. 14, S. 1946). Der Leiter des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Nachwuchsteams, Henrik Mouritsen berichtet: »Wir haben bei Gartengrasmücken in Käfigen beobachtet, dass sie nachts, wenn sie normalerweise in Richtung ihrer Winter- bzw. Sommerquartiere fliegen würden, regelmäßig den Kopf schütteln, und dass dieses Kopfschütteln zunimmt, wenn das Magnetfeld der Erde für sie nicht spürbar ist.« Diese bisher kaum beachteten Kopfbewegungen konnten jetzt in Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Magnetfeldes gebracht werden: »Jetzt wissen wir mit Sicherheit, dass die Zugvögel ihren "Kompass" bzw. "Magnetsensor" im Kopf haben - und dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Netzhaut ihrer Augen lokalisiert ist«, so Mouritsen. Denn erst kürzlich hatte Mouritsens Team in der Netzhaut von Gartengrasmücken Cryptochrom-Moleküle nachgewiesen, die es den Vögeln ermöglichen könnten, das Magnetfeld zu »sehen« (»Proceedings of the National Academy of Sciences«, Bd. 101, S. 14294). Für die Experimente setzten die Oldenburger Forscher jeweils eine Gartengrasmücke in einen eigens angefertigten Käfig, in dem die Tiere praktisch frei von äußeren Störeinflüssen waren. Mit Infrarotkameras wurde nachts etwa einmal pro Minute eine seitliche Kopfbewegung bei den Vögeln registriert, wenn sie dem natürlichen Magnetfeld ausgesetzt waren. Fehlte das Magnetfeld, nahm das Kopfschütteln deutlich zu. Die erhöhte Frequenz der Kopfbewegungen erklären sich die Forscher als Suche nach einem magnetischen Orientierungsmuster. Diese Zunahme lässt sich Mouritsen zufolge nicht durch Zufälle erklären, da sich die allgemeine Bewegungsintensität der Vögel im Durchschnitt nicht voneinander unterscheidet. Außerdem richteten sich die Vögel, die im natürlichen Magnetfeld untersucht wurden, nach dem »Kopfscan« deutlich häufiger in Richtung ihrer genetisch vorbestimmten Hauptflugrichtung aus als die Individuen der Untersuchungsgruppe ohne Magnetfeld. Das fehlende Magnetfeld führte dazu, dass die Orientierungsbewegung nach dem Scannen rein zufällig ausfiel. Vermutlich dient die Kopfbewegung zur Sensibilisierung der optischen Wahrnehmung (zum Scannen der maximalen oder minimalen Stärke). Ein sehr wahrscheinliches Erklärungsmodell geht davon aus, dass die Vögel über die Cryptochrom-Moleküle in ihren Augen eine Art »virtuelles Bild« der Magnetfeldmuster wahrnehmen können.