Klosterfrau Seehofers Geist

Uwe Kalbe

Tapetenwechsel muss sein. Doch welche Tapete ist die richtige? Welches Furnier passt zum neuen goldenen Kronleuchter? Stehen die Möbel optimal? So mancher schon hat den Anblick des zuvor teuer erworbenen Designermöbels später als tägliche Folter empfunden. Wie wichtig es ist, ab und an die Möbel neu zu ordnen, um schmerzarm zu leben, belegt das Beispiel Horst Seehofers. Der will nun gar das Mobiliar in seinem Kopf umräumen und zieht sich zu diesem Zweck in ein Kloster in der Oberpfalz zurück. Bei den Benediktinern will er die Innenarchitektur des gemarterten Hirns überprüfen und freudvoll seinen Herzmuskel massieren. Ob beim »Chorgebet der Mönche«, dem »Gebet in der Wüste« oder in der Klosterschänke - geistliche Übungen sollen zur inneren Einkehr verhelfen und die Grausamkeiten der Politik vergessen helfen. Ohne die Fähigkeit zum Exerzitium wäre Seehofer unter dem Trommelfeuer aus der eigenen Fraktion längst »zusammengesackt«, wie er in friedvoller Minute formulierte. Deshalb heißt es jetzt rasch Einkehren, Einkehren und nochmals Einkehren. Dazu Stollen backen und »Loslassen von den Zwängen«. Das ist der Geist, den wir jetzt brauchen: des Sofas Geist. Der Möblierung im Bundestag werden glücklicherweise nur beste Noten erteilt. Auch wenn mancher Bürger den Eindruck hat, dass die blauen Designersitze von den meisten Abgeordneten furchtsam gemieden werden. Aber das kann an den bedrohlichen Ritualen der Debatte liegen. Nur wer es vermag, den Redner ohne Mikrounterstützung zu übertönen, hat die eigene Redereife erlangt. Dies führt zu manch erstaunlicher Verrenkung von Oberkörpern. In solchen Momenten wird ein winziger verbliebener Mangel Abgeordnetenmöblierung deutlich: Die Stühle sind nicht mit Sicherheitsgurten ausgestattet! Dies sollte zu beheben sein. Schließlich wiesen bereits mittelalterliche Sessel entsprechende Vorrichtungen auf. Der Angst- oder Stachelstuhl, auch Jungfernschoß, war nicht so ohne weiteres zu verlassen, obwohl Dornen an Sitz und Lehne oder die Wirkung der darunter befindlichen Feuerstelle diesen Wunsch zuweilen dringlich erscheinen lassen mochten. Multifunktionalität sollte auch die Möbel der Abgeordneten auszeichnen. Zu ungleichmäßig ist das Plenum noch mit Prangern und Folterstühlen ausgestattet, auch die Streckleiter kommt als Fraktionsmöbel bisher zu kurz. Dabei wird der Bedarf in jeder Bundestagswoche aufs Neue deutlich. Der Einsatz der wenigen vorhandenen Exemplare löst dann meist Überraschung aus. Einige Minuten lang konnte man in dieser Woche sogar Michael Glos deutlich ansehen, wie ihm sein Stuhl in der ersten Reihe der Unionsfraktion zu heiß wurde. Kurz zuvor noch hatte er sich in der Kunst des Werfens unreiner Worte geübt. An den Pranger hatte er diesmal Außenminister Fischer geschmiedet. Doch nachdem er ihn im Überschwang der eigenen Wurfgewalt der Zuhälterei bezichtigt hatte, zündete jemand das Feuer unter seinem Stuhl. Um der hochnotpeinlichen Befragung zu entgehen, widerrief er schnell. Der Tortour war er nicht gewachsen. Was wusste er schon wirklich von Fischers Machenschaften? Mit dem Vorwurf der Zuhälterei wirft man nicht folgenlos herum. Sie ist etwas anderes als Vielweiberei. Zuhälterei kann nicht als Ausdruck von Lebensfreude abgetan werden, selbst wenn Herr Glos sich das so vorstellen mag. Auch ein Großmaul hat ja geheime Phantasien. Die Grünen, die mit der Wahrung des Leumunds von Herrn Fischer beauftragt sind, verstehen da jedenfalls keinen Spaß. Sie rieten nun auch dem bayerischen Müllerssohn, freundlich drohend: Glos ins Kloster! Karge Möblierung schreckt keinen bayerischen Politiker auf der Suche nach innerer Einkehr. Doch gibt es genug Klöster, um alle schadhaften Parlamentarier auf Vordermann zu bringen? Kann Seehofers Geist denn überall sein? Was zählt eine Drohung, wenn sie leer bleibt? Was nützt ein Folterstuhl, wenn er ewig unbesetzt ist? Einzelheiten sollen hier nicht ausgebreitet werden. Man kann nie sicher sein, ob nicht auch Angehörige der Bundeswehr diesen Text lesen und nachzustellen versuchen. Aber ein bisschen Folter kann doch wohl nicht falsch sein, wenn sie dem inneren Frieden dient. Wieso sollte man Muslimen das Kopftuch nicht so lange über die Ohren ziehen, bis sie zugeben, Islamisten zu sein - und denen so lange, bis sie gestehen, Hexen zu sein? Mit denen wissen abendländische Christen wenigstens etwas anzufangen! Seit Seehofer Klosterfrau werden will, sammelt er übrigens jede Menge Sympathien. Erstmals landete er auf Politikerplatz zwei. Jeder weiß,...

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