Der Traum vom freien Menschen

Weltumsegler, Prosaist und Revolutionär: Vor 250 Jahren wurde Georg Forster geboren

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch der letzte Brief ging an Therese, seine Frau. Forster verbrachte schon den 13. Tag in seinem »Schmerzensbett«, schlaflos und mit schwindenden Kräften, und als er die Feder kaum noch halten konnte, schrieb er: »Lebt wohl! Hütet Euch vor Krankheit, küsst meine Herzblättchen!« Therese lebte mit ihrem Liebhaber, seinem Freund Huber, in der Schweiz, er wusste es, er litt Höllenqualen, verzehrte sich nach seinen Kindern, und er hätte viel dafür gegeben, wenn sie ihm einen Platz an ihrer Seite gegönnt hätten. Jetzt aber war er ohnehin machtlos und schwach. Er lag, erst 39 Jahre alt, in einer Dachkammer mitten in Paris und war so allein, so verlassen wie nie im Leben, gemartert von der skorbutischen Gicht, die er sich schon auf seiner Weltreise geholt hatte. Sechs Tage noch dauerte sein Leiden. Sechs schlimme, elende Tage, die ohne Zeugnis blieben. Am 10. Januar 1794 war er tot. Wie und unter welchen Umständen er starb, hat niemand berichtet. Man weiß nicht einmal, wo er begraben ist. Goethe, der noch Wochen vorher in einem Brief gefragt hatte, ob man etwas von Forster wisse, wahrlich kein Anhänger der Revolution, aber voller Mitgefühl, bedauerte ihn herzlich. Wilhelm Heinse meinte nur, der Weltumsegler habe sich wieder nach Stürmen gesehnt und sei von der Revolution verschlungen worden. Lichtenberg hätte ihm gern »ein Paar Bogen« gewidmet, aber er traute sich nicht, wollte lieber Rücksicht nehmen auf Familie und Zukunft. Schiller indes höhnte. Für ihn war Forster bloß ein »rasender Thor«, »der auf des Weibes Rat horchend, den Freiheitsbaum pflanzt«. Getrauert, herzzerreißend geweint hat nur einer: der alte Christian Gottlob Heyne, der Altertumsforscher, Freund und Vater Thereses. »Ich liebte den Mann ganz unaussprechlich«, schrieb er, »er war mir mehr als Kind ...« Der Revolutionär, den man bewunderte oder kopfschüttelnd missbilligte, je nachdem, stellte schon damals die Leistung des Schriftstellers in den Schatten. Immerhin: Man hatte von Georg Forster einen festen Begriff. Friedrich Schlegel zählte ihn 1797 in einem noblen Aufsatz zu den klassischen Autoren. »Man legt fast keine seiner Schriften aus der Hand«, erklärte er, »ohne sich nicht bloß zum Selbstdenken belebt und bereichert, sondern auch erweitert zu fühlen.« Nirgendwo Stubenluft, meinte er, überall ein frischer, vorwärts strebender Geist, für den Fesseln, Mauern und Dämme nicht existierten. Ein außergewöhnlicher Mann war Forster in der Tat, geboren am 27. November 1754 in der Nähe von Danzig, aufgewachsen in England und als Zehnjähriger schon mit dem Vater unterwegs durch die russischen Weiten bis nach St. Petersburg, wo er das erste und einzige Mal auf einer Schulbank saß, acht Monate lang. Dann, nur ein paar Jahre später, das gewaltigste, kühnste Abenteuer seines Lebens: die lange, entbehrungsreiche Reise mit Captain James Cook um die Welt, wiederum an der Seite des Vaters. In Plymouth segelte man im Juli 1772 los, und Ende Juli 1775 kam man in Spithead wieder an. Dazwischen lagen Neuseeland, das strahlend helle Tahiti, die Monate in der trostlosen Eiswüste vor der Antarktis, die Entdeckung der Neuen Hebriden und Neu-Kaledoniens. Ein besseres Studium hätte Forster gar nicht wählen können. Mit wachen Augen nahm er alles auf, was er sah, und beschrieb es hinterher in seinem Buch »Reise um die Welt«, das, große Erzählung und wissenschaftliche Abhandlung zugleich, 1777 schon in einer englischen Ausgabe und 1778 bis 1780 auch deutsch erschien. Der Bericht, in zwei Bänden gedruckt, machte Forster zu einer europäischen Berühmtheit. Er war erst 24, als er Professor für Naturwissenschaft in Kassel wurde, und 30, als er nach Wilna kam, um in öder, bedrückender Atmosphäre Studenten zu unterrichten. 1790 reiste er gemeinsam mit Alexander von Humboldt in das gärende Westeuropa, nach Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich. Auch diesmal beschrieb er seine Erfahrungen in einem Buch. Die »Ansichten vom Niederrhein« wurden sein Meisterstück, von Lichtenberg zu den ersten Werken unserer Sprache gerechnet, ein hochherziges Bekenntnis zum Menschen und seiner Fähigkeit, alle Schranken niederzureißen, alle Ungleichheit zu beseitigen. Forster, inzwischen Bibliothekar in Mainz, erfasst vom Feuer der Revolution, die in Paris die morsche Monarchie gestürzt hatte, sah die Utopie in greifbarer Nähe. Sie hatte manches mit den freundlichen, leuchtenden Bildern zu tun, die seit den Tagen der Weltumseglung in seinem Kopf waren, und dennoch musste er gedrängt werden, nach der Besetzung von Mainz durch das französische Revolutionsheer dem Jakobinerklub beizutreten. Aber als der Schritt endlich getan war, ließ er nicht mehr davon ab, dem Traum vom freien Menschen Wirklichkeit zu verschaffen. Er wurde der Kopf der Mainzer Republik, für Augenblicke die erste, wenn auch nicht vollkommene Demokratie in Deutschland. Sein Einsatz für die Revolution, der ihn bei der Vertreibung der Franzosen zur Flucht nach Paris zwang, hat schon manchen Zeitgenossen verschreckt, sogar den eigenen Vater, der ihn brüsk, mit perfider Gebärde verdammte. Aber das 19. Jahrhundert wusste wenigstens noch, was für ein Kerl dieser Forster gewesen ist. Georg Gottfried Gervinus, einer der »Göttinger Sieben«, schrieb die einführende Charakteristik für die erste Gesamtausgabe, die 1843 in neun Bänden erschien. Hermann Hettner, der bedeutende Literarhistoriker, räumte Forster in seiner »Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert« ein großes Kapitel ein, das er mit einem »Götz«-Zitat schloss: »Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt.« Aber die Deutschen hatten mit Georg Forster nicht viel im Sinn. Sie ignorierten den Aufklärer, den Weltbürger, den glänzenden Schriftsteller, sie sahen nur den »Verräter«. Es dauerte bis 1958, ehe der Akademie-Verlag, ein Editionshaus der DDR, die historisch-kritische Ausgabe eröffnete, ein Werk des enthusiastischen, unermüdlichen Gerhard Steiner, der auch die beiden anderen Ausgaben des vorigen Jahrhunderts herausgab, die vier Bände bei Insel und die zwei, die in der Bibliothek deutscher Klassiker bei Aufbau erschienen. Ohne Steiner und seine lange, penible Beschäftigung mit dem Werk wüssten wir noch immer nicht richtig, wer Forster war. Und heute, 250 Jahre nach seiner Geburt? Die Verlage legen sich zur Zeit für Schiller ins Zeug. Georg Forster haben sie übersehen. Wer nach seinen Schriften forscht, kann auf reiche Ausbeute nicht hoffen. Ein paar Titel, schon vor Jahren erschienen (von den teuren Bänden der Akademie-Ausgabe einmal abgesehen): Mehr gibt die Suche nicht her. Keine Neuerscheinung. Nicht mal ein bescheidenes Lesebuch, das auch (und endlich mal wieder) den politischen Autor und den Briefschreiber zeigt. Nur ein Buch über ihn: Ulrich Enzensbergers glänzende Forster-Dokumentation, 1996 erstmals ediert und nun bei dtv im Programm. Bescheidener, geräuschloser kann man ein Jubiläum nicht feiern. Ulrich Enzensberger: Georg Forster. Ein Leben in Scherben. Deutscher Taschenbuch Verlag. 336 S., brosch., 12,50 EUR. Zur weiteren Lektüre: Klaus Harpprecht: Georg Forster oder Die Liebe zur Welt. Rowohlt Taschenbuch. 637S., brosch., 9,90 EUR. Erik Neutsch: Forster in Paris. Eine Erzählung. Drei Essays. Dingsda Verlag. 180 S., brosch., 12,90 EUR.
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