Aus dem Loch wieder in ein Hoch?

Gedämpfter Optimismus vor dem Weltcup-Auftakt im Skispringen unter Flutlicht in Kuusamo

  • Hans-Jürgen Zeume und Jürgen Holz
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Schon unmittelbar im Vorfeld der neuen nordischen Skisaison, die ihren Höhepunkt im Februar (16. bis 27.) mit den Weltmeisterschaften in Oberstdorf hat, hatte der Deutsche Ski-Verband eine spektakuläre Entscheidung getroffen. Der DSV feuerte vor sechs Wochen den erfolglosen Skisprung-Cheftrainer Wolfgang Steiert, der erst im letzten Winter die Nachfolge des Suhlers Reinhard Heß angetreten hatte. Steiert, einst erfolgreicher Heimtrainer von Martin Schmitt und Sven Hannawald, war offensichtlich mit seiner neuen Aufgabe als Cheftrainer überfordert.
Steiert entschied, wie ihm vorgeworfen wurde, meist aus dem Bauch heraus und ließ die einst von Heß praktizierte wissenschaftliche Gründlichkeit total vermissen. Nach einem miserablen Wettkampfwinter mit nur einem Saisonerfolg durch Michael Uhrmann bestand Handlungsbedarf. DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller, einst Absolvent der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig und zu DDR-Zeiten leitender Angestellter des DSLV der DDR in Berlin, handelte entschlossen.

»Wir müssen nun auf anderem Niveau leben«
So wurde schließlich der Allgäuer Peter Rohwein zum neuen Cheftrainer und der Klingenthaler Henry Glaß zu einem der neuen Assistenztrainer ernannt. Rohwein erhielt einen Vertrag bis nach den Olympischen Winterspielen 2006.
Damit stehen die deutschen Skispringer beim Weltcup am Wochenende auf der windanfälligen Großschanze in Kuusamo - das Springen am Freitag war wegen zu hoher Windgeschwindigkeiten abgesagt worden - personell und sportlich vor einem gewissen Neuanfang.
»Unser Sorgenkind ist derzeit der Skisprung«, räumte Pfüller unlängst beim Forum Nordicum in Oberstdorf mit Blick auf die WM-Saison ein. »Es ist äußerst schwierig, über zehn Jahre die Konstanz der Spitzenleistung zu halten. Wir hatten dafür Athleten wie Jens Weißflog, Dieter Thoma, Martin Schmitt oder Sven Hannawald, die die Hälfte aller Springen gewannen. Wir müssen nun auf einem anderen Niveau leben. Aber es gibt auch in der neuen Mannschaft Springer wie Georg Späth, Michael Uhrmann oder Martin Schmitt, die siegen können. Wir hoffen, aus einem Loch wieder in ein Hoch zu kommen.«
Um aus dem Loch herauszukommen, habe er sich in den zurückliegenden Wochen intensiv mit den Springer-Problemen beschäftigt und auch jede Menge Experten konsultiert. Eine der Maßnahme war schließlich auch das Zusammenlegen von B-Kadern mit der Junioren-Auswahl. Als Verantwortlicher für diesen Kaderkreis wurde der Erfolgscoach des deutschen Skispringens berufen: Reinhard Heß.
Die Strukturveränderungen sieht Pfüller aber noch weitreichender: »Im Gegensatz zu einigen anderen Verbänden haben wir die Auffassung, dass die Grundlagen mit den Kindern zwischen 12 und 14 Jahren gelegt werden. Dort müssen wir den Kontakt zu den Eltern suchen. Jugendliche mit 17, 18 Jahren zu begeistern, das ist zu spät. Wir müssen die Eltern dafür gewinnen, dass ihre Kinder ins Internaten ziehen und in den Nachwuchszentren ihr sportliches Talent entwickeln.«
Pfüller definierte vor den Journalisten noch weitere Ziele des DSV bis 2006 und schlug dabei nicht alltägliche Töne an: »Spätestens 2008 wollen wir mit den Junioren in allen Bereichen Weltspitze sein. Wir müssen vier bis sechs Jahre vorausdenken und angesichts wachsender Kosten und in absehbarer Zukunft geringer werdender Mittel auch die Verschlankung der Spitze suchen. Athleten, die nicht das Zeug zur Spitze haben, sollten besser aufhören. Wir sollten mehr unsere Kraft in den Nachwuchs investieren.«

Neuer Coach: »Mindestens eine WM-Medaille«
Nach dem »heißen Herbst« mit dem Trainerwechsel folgt nun der »heiße Saisonstart« in Finnland, wo der Weltcup-Auftakt unter Flutlicht erfolgt. »Der Weltcup ist wichtig, um Selbstvertrauen zu tanken. Aber wir sind ganz auf die Vierschanzentournee und die Heim-WM fokussiert. Dort wollen wir uns in Top-Form präsentieren«, sagte Rohwein vor seinem Bundestrainer-Debüt.
Dabei muss er ohne den am Burn-out-Syndrom leidenden einstigen Vorzeigespringer Sven Hannawald auskommen. Hannawald wird von »Zukunftsängsten« geplagt und wird - wenn überhaupt - vermutlich erst im Olympia-Winter 2006 auf die Schanzen zurückkehren. Der Hinterzartener lässt sich weiterhin ein oder zwei Mal in der Woche behandeln und denkt derzeit nicht an ein Comeback.
Rohwein geht nach den Erfahrungen des letzten Winters mit gedämpftem Optimismus in die Saison und spricht vorsichtig-optimistisch von »mindestens einer Medaille« bei den WM. »Unser Anspruch ist es natürlich, immer vorne mitzuspringen. Aber der eine oder andere braucht etwas länger, um die richtige Form zu finden.« Er verweist darauf, dass sich »auch die Mannschaft erst auf die neuen Gegebenheiten einstellen« müsse.

Georg Späth ist der neue Hoffnungsträger
Besondere Hoffnungen setzt er in Georg Späth. Der Oberstdorfer will an die Ergebnisse des letzten Winters anknüpfen, als er Neunter im Gesamt-Weltcup und Vierter der Skiflug-WM wurde. »Ich möchte so konstant und gut weiterspringen«, sagte Späth. »Im Trainingslager in St. Moritz habe ich ganz schwach begonnen. Es ist zwar besser geworden, aber ich habe sprungtechnische Probleme und muss noch viel arbeiten, um auf den Stand zu kommen, um mit vorn zu sein.«
Sorgenkind ist weiterhin Martin Schmitt. Der viermalige Weltmeister steckt schon seit zwei Jahren im Tief. »Ich bin immer noch auf dem Weg und nicht am Ziel«, sagte der Schwarzwälder, der trotz Skiwechsel die technischen Mängel bislang nicht abstellen konnte. »Ich brauche noch Zeit, um meine Technik zu stabilisieren«, so der 26-Jährige.

Weltcup-Termine im Skispringen

27./28.11.  Kuusamo (Finnland)
04./05.12.  Trondheim (Norwegen)
11./12.12.  Harrachov (Tschechien)
18./19.12.  Engelberg (Schweiz)
29.12.  Oberstdorf *
01.01.  Garmisch-Partenkirchen*
03.01.  Innsbruck (Österreich)*
06.01.  Bischofshofen (Österreich)*
08./09.01.  Willingen
15./16.01.  Bad Mitterndorf (Öst)**
22./23.01.  Titisee-Neustadt
29./30.01.  Zakopane (Polen)
05./06.02.  Sapporo (Japan)
11./12.02.  Turin (Italien)
05./06.03.  Lahti (Finnland)
09.03.  Kuopio (Finnland)
11.03.  Lillehammer (Norwegen)
13.03.  Holmenkollen (Norwegen)
19./20.03.  Planica (Slowenien)**
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