nd-aktuell.de / 27.12.1996 / Politik / Seite 2

Auslaufmodell Sozialstaat Lastenfall(e) Von Helfried Liebsch

Das Sparpaketjahr neigt sich dem Ende zu - nach den Sprüchen aus dem Arbeitgeberlager scheinen die erreichten Schnitte ins soziale Netz noch nicht die erreichbaren. Die Forderung nach Senkung der Abgabenlast, nach Entlastung von Unternehmern - wie jetzt von BDA-Chef Hundt erneuert -, dominiert Bildschirme und Zeitungsspalten. Die Bundesrepublik als Lastenfall, auf dem Weg in eine sozialstaatliche Lastenfalle?

So berechtigt das allgegenwärtige Stöhnen aus betriebswirtschaftlicher Sicht sein mag, volkswirtschaftlich und gar gesellschaftlich gehen die Klagen an der Wirklichkeit vorbei. Seit Antritt der schwarzgelben Koalition hat in Deutschland eine gigantische Be- und Entlastung stattgefunden. Eine Umverteilung von oben nach unten. Betrug die Last aller direkten Steuern bei den Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen 1982 noch rund 20 Prozent der Bruttoeinkommen, so ist sie bis zur Stunde auf weniger als die Hälfte gesunken. Von Trick-Reichtum ganz zu schweigen. Ähnlich verhält es sich bei Kapitalgesellschaften mit Blick auf die Körperschaftssteuer und andere direkte Steuern. Und all dies vor dem Hintergrund einer Verdopplung der Gewinne.

Bei Arbeitseinkommen hingegen wurden die Belastungen durch Lohnsteuer und Sozialabgaben drastisch erhöht. Der Posten Realeinkommen hat sich nach Gewerkschaftsberechnungen seit 1982 um gerade mal zwei (!) Prozent verbessert. Unterm Strich verfügen heute fünf Prozent der privaten Haushalte über ein Drittel des gesamten Privatvermögens, fast die Hälfte der Haushalte jedoch nur über knapp zehn Prozent. Und die Polarisierung verschärft sich.

Tatsächlich gerät das unverdrossene Ansteuern des Abgaben-Entlastungsfalls der Unternehmen zur gesellschaftlichen

Lastenfalle: Der öffentliche Handlungsspielraum wird verengt. Zu Lasten wichtiger Standortkomponenten, z.B. der Infrastruktur, der Bildung, der Gesundheit. Die Konsequenzen für Politik und Demokratie sind unabsehbar. Mitgestaltung wird zur Farce, wenn es bei leeren Kassen nichts mehr zu entscheiden gibt.

Die Jahreswechsel-Wünsche des BDA-Chefs orientieren sich am gängigen Politikmuster der Umverteilung samt seinen fatalen Auswirkungen. Wer angesichts von vier Millionen, die offiziell arbeitslos sind, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben verspricht, kündigt den sozialstaatlichen Konsens auf. Alarmismus gilt nicht, aber die als modern daherkommende Reformpolitik neoliberalen Zuschnitts treibt in eine andere Republik.