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Extremisten in kochendem Gestein

Selbst in kilometertiefen, unterseeischen Vulkanen finden sich noch Mikroben Von Siegfried Neumann

  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Bakterien, die die Erdölquellen der Welt noch unter der Erde vernichten könnten, erpreßte in einem der zahlreichen James-Bond-Filme ein Bösewicht die Regierungen der Welt. Ein Szenarium, das inzwischen gar nicht mehr so abseitig ist.

Waren sich noch vor wenigen Jahrzehnten selbst Wissenschaftler sicher, daß Leben Sauerstoff, Wasser und eine einigermaßen moderate Temperatur braucht, wurden sie durch die Entdekkung der sogenannten Archaebakterien vor wenigen Jahren eines besseren belehrt. Da fand man in der unfreundlichen Umgebung unterseeischer Vulkane Mikroben, die es sich bei Temperaturen über 100 °C und mehrfachem Atmosphärendruck gemütlich machten. Inzwischen entdeckte man bei geologischen Bohrungen sogar in Gesteinsschichten tief unter der Erde Organismen. Der Mikrobiologe James K. Fredrickson und der Geologe Tullis C. Onstott fanden in Bohrproben aus 400 Meter Tiefe bis zu zehn Millionen Bakterien pro Gramm Gestein, und noch in 2,8 Kilometer Tiefe waren Mikroorganismen nachweisbar, berich-

ten die Wissenschaftler in Spektrum der Wissenschaft (12/96).

Dabei erschlossen sich je nach den örtlichen Bedingungen recht verschiedene Mikroben den unterirdischen Lebensraum. Während sich manche in wasserreichen Sedimenten noch relativ »normal« im Wasser gelösten Sauerstoff nutzbar machen, kommen andere ohne weitere Energiequellen mit Mineralien und Wasser aus, und bilden mit ihrer Biomasse das Fundament einer unterirdischen Nahrungskette. Dabei wurde die Reduktion von Mangan und Eisen ebenso als Energiequelle ausgemacht wie die Reduktion von Sulfaten zu Schwefelwasserstoff oder der Wasserstoff, der durch Reaktion von sauerstoffarmem Wasser mit eisenhaltigen Gesteinen entsteht.

Die Vorfahren der Steinfresser dürften - so vermuten die Wissenschaftler - vor Millionen von Jahren mit langsam sikkerndem Grundwasser eingeschwemmt worden sein. Im Laufe der Zeit haben sie sich offenbar den extremen Verhältnissen angepaßt - an den hohen Druck und an Temperaturen von mehr als 100 °C sowie an dürftige Nahrungs- und Energiequellen. Manche kümmern als Zwergbakterien vor sich hin, die nur noch ein Tausendstel der Größe vergleichbarer

Arten haben, und ihr Stoffwechsel ist gleichsam auf Zeitlupe reduziert. Wahrscheinlich teilen viele sich höchstens alle 100 Jahre einmal. Holt man sie aber an die Oberfläche und kultiviert sie in geeigneter Weise, beginnen einige, sich wieder rascher zu vermehren.

Wie Fredrickson und Onstott schreiben, haben die bereits genauer untersuchten Mikroben verschiedene höchst nützliche Eigenschaften: Sie bilden unter anderem Antibiotika, bislang unbekannte Farbstoffe und hitzestabile Enzyme oder bauen giftige Substanzen ab.

Daneben birgt die Entdeckung der unterirdischen Extremisten allerdings auch einige negative Aspekte. Die ohnehin von vielen Umweltschützern kritisierte Deponie von gefährlichem Müll in unterirdischen Stollen muß nun neuerlich geprüft werden. Denn Mikroben, die sich an derart extreme Lebensverhältnisse angepaßt haben, dürften manches Gift als willkommene Abwechslung ihres Speiseplans verstehen. Und welche Stoffe bei einer solchen mikrobiellen Zersetzung entstehen, läßt sich ebensowenig vorhersehen wie der Weg, den solche Stoffe dann unter der Erde nehmen. Bei der Endlagerung von radioaktivem oder sonstigem Sondermüll in Sedimenten wird man künftig auch auf aggressive Bakterien und Pilze achten müssen.

Die eingangs geschilderte Filmidee ist also durchaus recht realistisch, denn man begann nach solchen Mikroben überhaupt erst zu suchen, als bei Erdölbohrungen unerklärliche chemische Veränderungen bemerkt wurden.

Und auch die Vorstellung von Leben auf anderen Planeten als der Erde gewinnt durch diese Beobachtungen einiges an Wahrscheinlichkeit.

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