Grit mag Isaac, Nino Sauberkeit

Zaghafte Kontakte und Differenzen im internationalen Studentenwohnheim

  • Tobias Schulze
  • Lesedauer: 3 Min.
Von Multikultur wird viel gesprochen. Intensiver als im Studentenwohnheim wird man sie in deutschen Landen allerdings kaum erleben. Im Wohnheim »Ferdinand Thomas« in der Storkower Straße in Berlin-Lichtenberg treffe ich auf Sandra, die gerade vom unsanierten Teil des Plattenbaus in den sanierten umzieht. Sandra begrüßt ihre Freundin Grit (deutsch) und deren Freund Isaac (kamerunisch), die beim Umzug helfen wollen. Auch Nino (georgisch) wohnt im gleichen Wohnheim und hilft. Später kommt noch Tonino, einer von zwei Italienern aus dem Wohnheim, auf einen Kaffee zu Besuch. Was merkt man von den vielen Kulturen in einem Haus, will ich wissen. Wenig, sagen alle übereinstimmend. Man trifft sich am Fahrstuhl oder mal im PC-Pool. Die Nationalitäten, die stark im Wohnheim vertreten seien, blieben oft unter sich. »Man lernt Leute vorrangig durch das Zusammenwohnen in einer Wohnung kennen«, sagt Grit. Sie wohnte bisher mit einer Französin, einer Russin und einer Polin zusammen. Das sei sehr schön gewesen. Probleme gebe es vor allem in unterschiedlichen Auffassungen von Ordnung. Nino aus Georgien pflichtet ihr bei: »Als ich 1996 hierher kam, sollte ich mit zwei deutschen Frauen zusammen wohnen. Die Wohnung sah aus wie ein Schweinestall. Ich habe erstmal alles sauber gemacht«, erzählt die Linguistikstudentin. »Außerdem hatte die eine wohl etwas gegen Ausländer, sie hat nicht mit mir gesprochen.« Tonino, der Germanistik- und Anglistikstudent, würde sich seine Mitbewohner lieber aussuchen. Die Praxis der Hausverwaltung aber sieht anders aus. Nach Problemen habe es acht Monate gebraucht, um sich zu trennen. Die Verwaltung reagiere viel zu langsam, wenn es mal kriselt, kritisiert der Italiener. Er zieht demnächst nach Prenzlauer Berg. Die Verwaltung achtet darauf, dass sich die Nationalitäten nicht so sehr voneinander abkapseln. Dieses Prinzip werde jetzt allerdings bei afrikanischen Bewohnern ein bisschen aufgeweicht, erzählt Isaac. »In Afrika muss man niemanden fragen, wenn man eine Party feiern will. Da feiern alle mit«, sagt er. Das Zusammenleben mit deutschen Studenten findet Isaac dennoch wichtig. Von speziellen Problemen im Zusammenleben können die Frauen berichten: Man werde ständig angebaggert, erzählt Sandra. Sie hat sich auf die Annäherungsversuche inzwischen mit einer Taktik eingestellt: Jede Frage nach dem Namen beantworten sie mit »Ich heiße Sandra und habe einen Freund.« Das gehe hervorragend. Grit findet das Anbaggern nicht so schlimm, schließlich hat sie ihren Freund Isaac auch auf diese Art und Weise kennen gelernt. Eigentlich finden es alle angenehm, im Wohnheim zu wohnen, auch wenn sie ursprünglich wegen der niedrigen Mieten dorthin gezogen sind. In den Wohnheimclub »Schlauch« gehen die fünf jedoch nicht. Tonino war einmal da und meint anschließend, dass er vor allem von Lichtenbergern genutzt wird. Er könne nachts in seinem Bett hören, dass Marianne Rosenberg gespielt wird. Ob dies der Internationalität des Studentenwohnheims gerecht wird, ist für ihre Bewohner ein wenig fraglich. Die deutsche Kultur ist eben nur eine unter vielen Kulturen in der Storkower Straße 211-225 in Berlin-Lichtenberg.
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