Lust, Lähmung

DT-Kammerspiele: Schnitzlers »Liebelei«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.
In Arthur Schnitzlers »Liebelei« verfällt Dragoner Fritz in die schwere Melancholie - einer Affäre mit einer Verheirateten. Freund Theo (Timo Dierkes: ein hoch gewachsener Dirk Bach als Salon-Mephisto) wiegt ihn und sich in Zerstreuungen. Er hat die Mizi, und der Fritz könnte die Christine haben. Nur liebt die Christine den Fritz wirklich. Alles so kompliziert. Da lässt sich der Fritz lieber vom gehörnten Ehemann erschießen. An den DT-Kammerspielen Berlin inszenierte Tina Lanik (Bühne: Magdalena Gut). Neunzig Minuten konzentrierter Abgesang. Robert Gallinowskis Fritz: eingeweichte Männlichkeit zwischen Liebe und lei. Gallinowski spielt eine geradezu kulturvolle Gleichgültigkeit, als sei jeder Schritt, jedes Wort, jeder Blick schon vorgefühlter Tod. Den kann ein Duell, auch wenn er erschossen wird, nicht mehr töten. Der Schauspieler nimmt alle Spannkraft aus dem Gesicht, müdet sich ausfregend durch den Raum. Da wird ein straffer Kerl im Bekenntnisschwitzkasten formlos. Und flieht die Welt. Isabel Schosnig: eine Mizi mit strahlend frischer, federnder Nuttigkeit. Eine einzige Hüftbewegung, und Schnitzlers Jahrhundert ist bis zu uns hin übersprungen. Die erotische Wirklichkeit dieser souveränen Blonden, jene äußere Szene der wechselnden Gelegenheiten, wird zum vollkommenen Abbild unserer flüchtigen Bedürfnisse und der Fülle ihrer Verwischtheiten. Christian Grashof als Christines Vater. Ein zur Pluderpose gebogenes Spreizmännchen, dann aber plötzlich, im Unglück der Tochter, ein unendlich trauriger, das Leben so verzweifelt preisender kleiner Mensch. Groß und rührend. Am Schluss wird die Christine der Aylin Esener ihre Gesichtsseligkeit aufgeben müssen; jene hold-erwartungssichere Erstarrung in einem Glück, das gar nicht stattfindet, sie wirds unter eine schreiende Klarsicht pflügen müssen. Liebelei als Programm der Moderne: Unbehindert verkehren die Launen mit den Gelegenheiten. Wo das Gewünschte mit dem Gegebenem sich stets nur kurzfristig einigen kann, da wird sich keine noch so fest versprochene Menschen-Verbindung mehr heraustrennen können. Der Lebensplan als etwas Biegsames. Auf abrupten Richtungswechsel gesetzt: Das ist quasi der letzte Schrei, der aus Christines Entsetzen in ein abgeklärtes Mizi-Lächeln übergeht. Da...

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