Der Künstler ist verantwortlich

Fritz Cremer: Wortmeldungen eines Streitbaren

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Der Bildhauer und Grafiker Fritz Cremer war und ist jedem, der auch nur das geringste Interesse für bildende Kunst in der DDR aufbringt, zumindest durch einige seiner Werke, allen voran das Buchenwald-Denkmal, bekannt. Die Geschichte des Kunstschaffens in der DDR ließe sich nicht beschreiben und noch weniger verstehen, ohne ihn zu berücksichtigen. Das liegt außer an seinen Skulpturen fast ebenso sehr an dem, was er sagte oder schrieb, um dieser Kunst insgesamt voranzuhelfen. Seine Wortmeldungen waren fast immer polemisch, äußerst angriffslustig, bestimmt durch tiefste Sorge um das Gelingen des ganzen Versuchs »Sozialismus/Kommunismus« und glühenden Zorn auf alle Gegner und besonders über alle Fehler der eigenen Seite. Sein Freund Herbert Sandberg hat ihn, den westfälischen Dickschädel, zutreffend als einen anstürmenden Stier in der Arena karikiert. Seine Kollegen und noch mehr die Oberen unter seinen Genossen hatten jedes Mal Arges zu befürchten, wenn er das Wort ergriff. Maria Rüger, die viele Jahre in der Akademie der Künste der DDR tätig war, sollte zu Cremers 85. Geburtstag 1991 alle Texte herausgeben. Jetzt erst kann sie eine sorgfältig kommentierte Auswahl des Wichtigsten, 91 verschiedenartige Texte, zugänglich machen, weil das nach einem bedeutenden Kunsthistoriker benannte Wilhelm-Fraenger-Institut in Potsdam diesen Sammelband in seine Schriftenreihe aufgenommen hat. Vieles bisher unveröffentlicht Gebliebene, manches nur gekürzt oder entstellt Publizierte, dazu Beiträge, die nur in Zeitungen, auch des Auslands, oder Ausstellungskatalogen erschienen, sind damit leicht greifbar geworden. Das ergibt ein fesselndes Material nicht nur zu Charakter und Bewusstseinsentwicklung eines bedeutenden Künstlers, sondern vor allem zur wechselvollen, konfliktreichen, letztlich gegen den Baum gefahrenen Kunstpolitik einer Partei und eines Staates, von denen sich Cremer ungeachtet aller Enttäuschungen nie lossagte. Cremers Wortmeldungen galten nur zu einem Teil, vor allem, wenn er befragt wurde, der Begründung seiner eigenen künstlerischen Haltung, seines Beharrens auf Arbeiten mit der menschlichen Figur. Das war immer zugleich ein Beitrag zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen um Kunst für eine neue, nicht länger »spätbürgerliche« und kapitalistische Gesellschaft. Beim Lesen lässt sich verfolgen, wie Cremer, um einen »nach vorn offenen Realismus« für die sozialistische Gesellschaft wirksamer werden zu lassen, schließlich die Fruchtbarkeit bestimmter Gestaltungsweisen der Moderne anerkannte und gegen Dogmatiker verteidigte. Es ist begreiflich, dass ihm das für Malerei, Literatur und Musik leichter fiel, als für sein eigenes Metier, das er andererseits gegen die Forderung verteidigte, dem Vorbild der unsäglich schlecht gewordenen sowjetischen Plastik nachzueifern. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass man dem Land der Oktoberrevolution, die er bewunderte, nicht sagen durfte, dass es künstlerisch einen falschen Weg ging. Ein zentraler Begriff für Cremer war »Verantwortung«. Das betraf zunächst die »unbedingte Eigenverantwortlichkeit des Künstlers« für seine Werke und deren Formen, die ihm kein Machthaber oder Funktionär vorschreiben könne. Eingeschlossen war aber auch eine Verantwortung gegenüber den Adressaten, eine Verantwortung dafür, was in deren Köpfen bewirkt werden sollte. Er konnte unduldsam werden, wenn Andere, besonders Jüngere, das missachteten. Das bedeutete auch eine Mitverantwortung für die ganze gemeinsame Sache der großen Veränderung, der Überwindung von Imperialismus, Faschismus, Ausbeutung und Krieg. Und er forderte die Verantwortung der Gesellschaft und ihrer Führung für die Ermöglichung einer immer bewegenderen und anspruchsvolleren Kunst ein. Seine wichtigsten Vorschläge machte er in einem Interview unter dem Titel »Neue Kunst braucht keine Musterknaben«, das wie die von ihm inspirierte Akademie-Ausstellung jüngerer Künstler im Sommer des Mauerbaus für politisch irreführend gehalten wurde, und mit einer großen Rede auf dem Kongress des Verbandes bildender Künstler 1964, in der er 37-mal mit den Worten anhob »Wir brauchen...«, und die in der DDR niemals veröffentlicht wurde. Jetzt ist man nicht mehr auf den damaligen Abdruck in der FAZ angewiesen. In den folgenden fünf Jahren wurde nichts von Cremer gedruckt, wie Rüger vermerkt. Später äußerte er sich u.a. mehrmals zu Denkmalplastik und vertrat leidenschaftlich seine Überzeugung, dass Sozialisten keine »Götterbilder« bräuchten, zu denen sie anbetend aufschauen, sondern Figuren, die ein eigenes Nachdenken über die Widersprüche und Niederlagen im Fortschritt zu mehr Humanität herausfordern. Leider gibt es keinen Text, der darauf Bezug nimmt, dass es Fritz Cremer war, der 1974 das Rahmenthema für die Gemälde im Palast der Republik formulierte, das seine Kollegen zu so unterschiedlichen Bildideen inspirierte: »Dürfen Kommunisten träumen?« Sein eigenes Schaffen und Denken belegt, wie frucht...

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