Extra-Aspirin für Kinder

»Irrationale« deutsche Arzneimittel überschwemmen die Dritte Welt

Die deutsche Pharmaindustrie gehört zu den größten Arzneimittelanbietern in der Dritten Welt. Eine Studie der Pharmakampagne der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) kratzt am positiven Image. Vier von zehn Medikamenten deutscher Firmen werden negativ bewertet.

Fast 40 Prozent der 2500 untersuchten Arzneimittel, die deutsche Pharmakonzerne in die Dritte Welt liefern, haben keinen nachweisbaren Nutzen oder sind gefährlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine weltweite Studie der BUKO-Pharmakampagne. Deutsche Pharmafirmen genießen in der Dritten Welt an sich ein positives Image. Daran kratzt die Studie erheblich. Bei den so genannten irrationalen Medikamenten gebe es keinen klinischen Beweis für die Wirksamkeit. Oder aber sie würden deutlich schlechter wirken als vergleichbare Medikamente. Nicht wenige dieser Mittel seien sogar gefährlich und einige in Deutschland verboten, stellt die Pharmakampagne fest. Die Pharmakampagne beobachtet bereits seit über 20 Jahren die Produkte der deutschen Pharmaunternehmen und deren Vermarktung. Sie gehört zu den Mitbegründern der Health Action International (HAI). Dieses Netzwerk setzt sich in über 70 Ländern für eine rationale Arzneimittelpolitik ein. Für die neue Studie wurden Daten aus 46 Ländern der südlichen Welt zusammengetragen. Zum wissenschaftlichen Team gehörte unter anderen Professor Peter Schönhöfer, renommierter Pharmakologe und Mitherausgeber des Arzneimitteltelegramms. Bevorzugtes Exportland für »irrationale« Medikamente ist Brasilien: Dort bieten deutsche Pharmakonzerne 333 fragwürdige Produkte an. Aspirin und weitere Acetylsalicylsäure-Präparate sind in Deutschland mit dem Hinweis »Nicht geeignet für Kinder unter 12Jahren« versehen, weil der Wirkstoff Acetylsalicylsäure mit einer oft tödlich verlaufenden Erkrankung des kindlichen Gehirns in Zusammenhang gebracht wird. Bayer jedoch verkauft in Brasilien sogar ein niedriger dosiertes Extra-Aspirin für Kinder mit dem Werbespruch »Lebe jeden Moment. Ohne Schmerz«. Boehringer Ingelheim wirbt in Brasilien für metamizolhaltige Präparate. In Deutschland sind Kombinationen mit Metamizol seit 1986 verboten, weil dieses lebensbedrohliche Blutbildstörungen auslösen können. In Brasilien zählt das Schmerzmittel Buscopan compositum des Unternehmens mit Stammsitz Ingelheim am Rhein zu den fünf meistverkauften Medikamenten. Es enthält Metamizol. »Skandalös«, urteilt die Pharmakampagne. In den armen Ländern, wo im Schnitt weniger als fünf Dollar pro Kopf und Jahr für Medikamente zur Verfügung stehen, haben »irrationale« Arzneimittel besonders gravierende Folgen. Sie belasten den schmalen Geldbeutel, machen aber nicht gesund. Kombinationspräparate mit mehreren Wirkstoffen machen fast die Hälfte aller negativ bewerteten Arzneimittel aus. So fielen 70 von 80 Vitaminpräparaten auf, weil sie unsinnige Kombinationen enthalten. Staatliche Behörden, die den Arzneimittelmarkt überwachen, sind in Entwicklungsländern selten vorhanden. Damit ist dem Verkauf irrationaler Präparate Tür und Tor geöffnet. Das deutsche Arzneimittelgesetz sieht zwar vor, dass »bedenkliche« Produkte nicht exportiert werden dürfen. Doch gebe es zahlreiche Lücken im Gesetz, um die Bestimmungen zu unterlaufen, wie der Verein Demokratischer Pharmazeuten und Pharmazeutinnen (VDPP) kritisiert. Große Unterschiede in der Qualität hat die Untersuchung bei den 33 deutschen Herstellern ausgemacht. Während nahezu jedes zweite Mittel von Byk Gulden/Altana, Boehringer Ingelheim, Hoechst/Aventis E. Merck als »irrational« eingestuft wurde, ist es bei Fresenius nur jedes achte. Jedes vierte fragwürdige Mittel bieten die Firmen übrigens nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in Deutschland an. Besonders bedauerlich sei das dürftige Angebot der deutschen Pharmaunternehmen für wichtige Erkrankungen in den untersuchten Ländern, erklärt die Pharmakampagne. So gab es lediglich elf Malariamittel und elf gegen Wurmerkrankungen. ...

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