»Nur Leistung zählt, denn das NOK ist kein Reisebüro«

Wolfgang Remer, Präsident des Landessportbundes Mecklenburg-Vorpommern, sieht Spitzensportförderung nun auf richtigem Weg

  • Lesedauer: 5 Min.
Wolfgang Remer (59), Lehrer für Mathematik und Physik, bis 1991 Direktor einer Kinder- und Jugendsportschule, Mitarbeiter der Landesmedienanstalt, im Ehrenamt seit 1990 Präsident des Landessportbundes.
ND: Herr Remer, Sie haben die jüngsten Leistungssportbeschlüsse des Deutschen Sportbundes durchweg positiv bewertet. Warum?
Remer: Weil sie in die richtige Richtung weisen. Im Spitzensport werden wir international nur bei stärkerer Konzentration und einem möglichst zentralen Vorgehen mithalten können. Andere Länder machen uns das längst vor, und unsere Erfahrungen aus DDR-Zeiten sind ja auch entsprechend.

Was bedeutet das konkret für den Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern?
Wir müssen die vorhandenen Mittel auf weniger Sportarten konzentrieren. Und wir müssen gewährleisten, dass zu Olympia 2008 nur solche Athleten fahren, die eine realistische Endkampfchance haben. Anders gesagt: Nicht Bedürftigkeit zählt, sondern nur Leistung wird gefördert, denn das NOK ist kein Reisebüro.

Richtet sich diese Kritik auch an Aktive und Trainer aus Ihrem Bundesland?
Ja. So hatte es beispielsweise kein einziger Boxer ins Olympia-Team geschafft. Boxen ist nicht nur eine der vier Fördersportarten unseres Olympiastützpunktes, sondern Schwerin war einst eine Box-Hochburg.

Aber es gab doch auch Olympiamedaillen für Mecklenburg-Vorpommern.
Das war bei aller Freude ein wenig wie verkehrte Welt. Stefan Nimke war im Bahnradsport, den wir gar nicht speziell fördern, sehr erfolgreich. Und hinter dem tollen Andreas Dittmer im Canadier klafft ein riesiges Leistungsloch.

Welche Konsequenzen wird das haben?
Boxen in Schwerin und Kanu in Neubrandenburg wird es ab 2005 als Bundesstützpunkte nicht mehr geben. Boxen hat eventuell noch eine Chance als ein neuer Bundes-Nachwuchsstützpunkt.

Und wie werden die Fördergelder kanalisiert?
Rund 75 Prozent der Landesmittel (von 8,2 Millionen Euro jährlich - d.R.) gehen in die Leistungssportförderung. Die Schwerpunktsetzung für die Bundesmittel nehmen Bund und DSB vor.

Gibt es da Interessenkonflikte?
Ja, vor allem solche, die aus dem föderalen Sportfördersystem resultieren. Beispielsweise sind ausschließlich die Länder für die Nachwuchs-Leistungssportförderung zuständig. Da überlagern Eigeninteressen nicht selten die zentralen des Bereichs Leistungssport im DSB.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern?
Eigentlich nicht, denn wir wissen doch noch alle aus dem DDR-System, dass Erfolg nur gemeinsam zu organisieren ist. Die von uns geförderten Nachwuchssportarten entsprechen deshalb der zentralen Schwerpunktsetzung.

Hätte es aber nicht gerade Boxen besonders nötig, gefördert statt links liegen gelassen zu werden?
Es ist seit 1990 stark gefördert worden, doch der Fachverband und die Trainer haben es nicht gepackt.

Liegt das nur an den Beteiligten?
Nein. Ein Internatsplatz muss heute beispielsweise zur Hälfte von den Eltern bezahlt werden. Zudem gibt es demographische Gründe. Genügend Talente rauszufischen, wird immer schwerer.

Sind denn die Vereine wenigstens rührig, Talente an die Bundesstützpunkte weiter zu geben?
Nicht immer. Eigentlich müssten die Vereine irgendwie die Rolle der einstigen DDR-Trainingszentren ausfüllen (die damals ihre Besten an die Sportklubs zu delegieren hatten - d.R.). Davon sind sie jedoch aus lokalen wie Vereinsinteressen weit entfernt. Aber Spitzensportler kann ich in der Regel eben nicht in der Kleinstadt oder auf dem Dorf entwickeln...

Kommt man an solche Interessenkonflikte überhaupt nicht nachhaltig ran?
Wir versuchen es im Land jedenfalls. Beispielsweise wollen wir, dass Leistungssport-Nachwuchsförderung, sprich: Landessportbund, und Leistungssportförderung, sprich: Olympiastützpunkt, strukturell unter ein Dach kommen.

Was bedeutet das konkret?
Wir sind mit dem Förderverein des Olympiastützpunktes im Gespräch, dass wir als Landessportbund die alleinige Trägerschaft übernehmen.

Und da sind alle Beteiligten dafür?
Vorbehalte gibt es vor allem bei den Kommunen. Die sagen, sie tun so viel für den Leistungssport, hätten dann aber keinen Einfluss mehr.

Handelt es sich da nicht eher nur um Befindlichkeiten?
Wir werden sehen. Der Diskussionsprozess hat gerade erst begonnen.

Gibt es noch andere Förder-Zukunftsmusik in Mecklenburg-Vorpommern?
Ja. Bisher haben wir zwei Jahre vor Olympia vorrangig den Olympia-Kader gefördert und anschließend zwei Jahre den Nachwuchs. Künftig wollen wir uns vier Jahre komplett auf ein Olympia-Team konzentrieren. Dessen Zusammensetzung wird natürlich in diesen vier Jahren leistungsgemäß wechseln. Damit sichern wir, dass letztlich tatsächlich die Aussichtsreichsten gefördert werden.

Tut nicht auch Veränderung in den Sportgymnasien Not?
So ist es. Auch bei den drei in Mecklenburg-Vorpommern. Sie müssen sich tatsächlich als Elite-Gymnasien profilieren. Übrigens auch in ihrem eigenen Interesse. Sie überleben nämlich nur, wenn sie ihr Alleinstellungsmerkmal in der Schullandschaft, wirklich Eliteschulen zu sein, behalten. Sonst schicken die Eltern ihre Kinder eben auf andere Gymnasien.

Ist der politische Wille dafür im Land vorhanden?
Das mit den Elitegymnasien steht so jedenfalls in der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS.

Wie sieht die Profilierung der Sportgymnasien praktisch aus?
Zum einen haben sie insofern Bestandsschutz, weil sie nicht gänzlich in die Schulentwicklungsplanung fallen. Zum anderen werden Sportlehrer direkt vom Schulleiter angestellt. Und zum weiteren werden wir ab 2005 erstmals bis zu zehn Lehrer-Trainer-Planstellen besetzen, die zu gleichen Teilen vom Land und vom Landessportbund finanziert werden.

Das hört sich gemessen an DDR-Erfahrungen alles sehr selbstverständlich an.
Für konzentrierte, zentrale, letztlich effektive Leistungssportentwicklung ist das auch selbstverständlich. Doch unter unseren föderalen Bedingungen ist es nicht möglich, DDR-Erfahrungen eins zu eins zu übernehmen - selbst wenn man ihnen ganz offen und gutwillig gegenübersteht. Sie passen eben nicht in die jetzigen Strukturen.

Gespräch: Michael Müller
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