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»Armutsgewöhnungszuschlag« und andere Lücken

ALG-II-Bescheide voller Widersprüche: PDS fordert Korrekturen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bescheide zum ALG II wimmeln von Fehlern. Sachsens PDS ruft daher zum »Monat des Widerspruchs« und bietet Beratung an. Verlangt werden zudem Initiativen zur Nachbesserung bei Hartz IV.
Die Widersprüche lauern auf Schritt und Tritt - etwa beim »Armutsgewöhnungszuschlag«. Den sarkastischen Begriff haben die Mitarbeiter des Leipziger »Zentrums für Integration« für eine befristete Zahlung gewählt, die einigen Betroffenen der Arbeitsmarktreform Hartz IV den Übergang in das Arbeitslosengeld (ALG) II erleichtern soll. Doch der Zuschlag ist, sagt Beraterin Heidi Lüth, eines von vielen Beispielen für »eklatante Gesetzeslücken« bei Hartz IV. Lüth, die einst den Petitionsausschuss des Bundestages leitete und heute per ABM bei dem Verein arbeitet, liefert zwei Rechenbeispiele für Arbeitslose, die zuletzt 1200 Euro Arbeitslosengeld erhalten haben. Ein allein lebender Mann bekomme einen Zuschlag, der in den ersten zwei Jahren des ALG-II-Bezugs gewährt wird, in Höhe von 160 Euro ausgezahlt. Bei einem Familienvater hingegen werden Leistungen für Frau und Kind in die Berechnung einbezogen. Übrig bliebe so nur ein Plus von fünf Euro. Neben Lücken im Gesetz moniert Sachsens PDS auch zahlreiche Fehler und Unzulänglichkeiten in den Bescheiden, die derzeit an die fast 300000 ALG-II-Empfänger im Freistaat verschickt werden. Die Mängelliste, die der Sozialexperte Dietmar Pellmann zusammengestellt hat, reicht von der fehlenden Begründung bei einer Ablehnung des Antrags über den »glatten Vertragsbruch« der abgeschafften 58-er Regelung bis zu dem Umstand, dass auch bei jetzt zugestellten Bescheiden eine Widerspruchsfrist von vier Wochen angegeben ist. Weil aber das Gesetz erst am 1. Januar in Kraft tritt, läuft auch die Frist erst ab Jahresbeginn. Die PDS, die vielfach selbst Beratungen anbietet oder diesbezüglich mit Vereinen kooperiert, hat daher für den Januar einen »Monat des Widerspruchs« ausgerufen. Sie empfiehlt, gegen unklare Bescheide vorzugehen - wofür indes manchmal auch ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter ausreiche, fügt Pellmann hinzu. Die Fehlerquote sei ausgesprochen hoch, sagt der Sozialpolitiker, ohne genaue Zahlen nennen zu können. Hektik bei der Umsetzung von Hartz IV lässt er als Entschuldigung nicht gelten: »Vieles hat Methode.« Verwiesen wird auf weitere Beispiele für die »Familienunfreundlichkeit« des Gesetzes. So sei in einem Fall die Rente einer 70-jährigen Frau auf den Bedarf ihrer beiden mit ihr in einem Haushalt lebenden erwachsenen Söhne angerechnet worden. Einer der Söhne erhalte deshalb 331 Euro, der andere nur 40 Euro. Derart strikte Unterhaltsregelungen habe es »bisher in keinem Sozialgesetzbuch gegeben«, sagt Lüth. Auch in anderen Situationen würden erwachsene Kinder faktisch »zum Auszug gedrängt«, um die »Unterhaltsvermutung zu widerlegen«. Die sächsischen Sozialisten wollen im Januar verstärkt Beratungen anbieten, unter anderem mit Infotischen vor Arbeitsagenturen am 3. Januar und einem kostenlosen Infotelefon, die tags darauf unter der Nummer (0800) 1016476 eingerichtet wird. Zudem sollen eine Ratgeberbroschüre zum Umgang mit den Bescheiden sowie Flugblätter herausgegeben werden. Darüber hinaus verlangt die Fraktion im Landtag von der Regierung, im Bundesrat auf Korrekturen des Gesetzes zu drängen. So soll das ALG I wieder für bis zu 32 statt nur 18 Monate gewährt werden können - eine Forderung, die auch der Düsseldorfer Bundesparteitag der CDU erhoben hat. Zudem sollen die 58-er Regelung wieder eingeführt und der Regelsatz auf mindestens 400 statt der geltenden 331 Euro festgelegt werden. Selbst diesen Betrag wird ein gehöriger Anteil der Antragsteller nicht erhalten. Während die Staatsregierung die Zahl der abgelehnten Anträge auf weniger als fünf Prozent schätzt, geht Pellmann von »etwa einem Fünftel« aus - also mindestens 60000 Menschen.
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