Patient zwischen Lotse und Schutzengel

Erstes bundesweit gültiges Modell von Hausarzt, Apotheken und Krankenkassen vorgestellt

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Das erste bundesweit gültige Hausarzt-Hausapotheken-Modell stellten gestern in Berlin die Barmer Ersatzkasse, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt gemeinsam mit dem Deutschen Hausärzteverband und dem Apothekerverband vor.

Bis zu 25000 Menschen sterben jährlich an negativen Wechselwirkungen unterschiedlicher Medikamente - rund fünf Mal so viele, wie im Straßenverkehr ihr Leben verlieren. Weitere 300000 Patienten würden wegen solcher nicht erkannter Zwischenfälle ins Krankenhaus eingeliefert. Darauf wies gestern der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, hin und bezog sich auf Datenerhebungen der Fachgesellschaft für Arzneimittelforschung an der Uni Bremen. Diese Todes- und Krankheitszahlen deutlich zu verringern, sei ein wichtiges Ziel des neuen Modells der integrierten Versorgung. Als erste gesetzliche Krankenkasse bietet die Barmer ihren Patienten ein bundesweites Hausarzt- und Apothekenmodell an. Obwohl die Gesundheitsreform allen gesetzlichen Krankenversicherungen vorschreibt, derartige Modelle anzubieten, hätten erst einige AOK auf regionaler Ebene dies getan, berichtete Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Nachdem in Sachsen-Anhalt und Baden- Württemberg die Hausarztmodelle »rasch starken Zuspruch gefunden haben« erwartet sie dies auch für das neue bundesweite Modell, dem sich andere Krankenkassen anschließen sollten. Ab März 2005 können alle 7,5 Millionen Barmer-Versicherten an dem für alle Seiten freiwilligen Modell teilnehmen, kündigte die Kasse an. Jeder Interessierte legt sich dann auf einen Hausarzt und eine Hausapotheke fest, zu denen er bei einer Krankheit immer zuerst geht. Die Qualifikation der Hausärzte ist durch ein integriertes und zertifiziertes Fortbildungskonzept im Vertrag geregelt, berichtete der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Als wesentliches Argument für die integrierte Versorgung spreche, dass so Doppeluntersuchungen sowie unnötige und krank machende Erstuntersuchungen vermieden werden, sagte der Hausarzt, zugleich Vizechef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Der dreiseitige Vertrag definiere erstmals die Schnittstelle zwischen Hausärzten und Haus-Apotheken, betonte Barmer-Vorstand Fiedler. Deren enge Zusammenarbeit soll beispielsweise gefährliche Wechselwirkungen verschiedener Arzneien verhindern. Hier würde der Hausarzt zum Lotsen durch das komplexe Geflecht des Gesundheitswesens und der Apotheker zum »Schutzengel«, wie er sagte. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versicherte sich freiwillig für das Programm einschreibt und einer Apotheke erlaube, für ihn ein vollständiges Medikamenten-Dossier zu führen. Hier müssten alle vom Patienten eingenommenen Arzneien - ob verschreibungspflichtig oder nicht - erfasst werden. Entsprechende Apotheken würden demnächst durch ein Schild als Barmer-Service-Partner erkennbar sein. Für die Barmer-Versicherten, die sich an dem Programm beteiligen, erlässt die Kasse bis zu drei Mal im Jahr die Praxisgebühr - pro Kopf also bis zu 30 Euro pro Jahr. Die Investitionen von 50 bis 60 Millionen Euro für zusätzliche Arzthonorare, werden zunächst für zwei Jahre über eine Anschubfinanzierung geleistet. Der Bonus für die Versicherten werde die Kasse nochmals rund 20 Millionen Euro kosten, da rund 70 Prozent der Barmer-Versicherten bei Umfragen Interesse bekundet hätten. Zweifel, dass das Modell nach der Anschubfinanzierung wieder auslaufen könnte, wehrte die Krankenkasse ab. Einsparungen erhofft sich die Kasse zum einen aus geringeren Doppeluntersuchungen, der Zusammenarbeit mit preisgünstigeren Krankenhäusern sowie bei den Arzneimittelkosten. Durch die Teilnahme der Apotheken sollen die Medikamentenkosten um etwa 15 Prozent gedrückt werden. Derzeit würden Rabattverhandlungen mit Pharmaproduzenten geführt, erklärte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes Hermann S. Keller. Ziel sei es insbesondere, die Quote der Generika, also der billigeren Nachbaupräparate, zu erhöhen. Denn Kostentreiber Nr.1 sind der Barmer-Kasse zufolge die als Scheininnovationen bekannten Medikamente, die unter Patentschutz stehen und deutlich teurer sind, ohne dabei therapeutischen Zusatznutzen zu haben. Gespräche werde es aber auch mit anderen Pharma-Konzernen geben. Kritik an den Modellen zur integrierten Versorgung, wie sie beispielsweise vom Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschland, dem NAV-Virchow-Bund, geäußert wird, wies die Bundesgesundheitsministerin gestern scharf zurück. Der NAV-Virchow-Vorsitzende Maximilian Zollner »wolle nur mehr Geld ins Gesundheitswesen pumpen und habe den Vertrag offensichtlich nicht gelesen.« Zollner warnt auf der Internetseite (www.nav-virchowbund.de) »vor fatalen Auswirkungen« der Integrierten Versorgung auf die Finanzierung der ambulanten Versorgung«. Denn jeweils ein Prozent aus der ambulanten und stationären Vergütung würden zur Anschubfinanzierung per Gesetz bereitgestellt. Wenn diese Anschubfinanzierung ausgeschöpft ist, so der NAV-Verbund, sei allein der ambulante Bereich dazu verpflichtet, die weitere Finanzierung zu...

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