Ein Familienvater rebelliert gegen Landesväter
Kämpfen für Kinder: Kay-Uwe Papenroth ackert für Sachsen-Anhalts ersten Volksentscheid
Seit fünf Jahren wird in Sachsen-Anhalt über die Kinderbetreuung gestritten. Ende Januar gibt es einen Volksentscheid. Ohne Enthusiasten wie den zweifachen Vater Kay-Uwe Papenroth wäre es nicht so weit gekommen.
Im Weihnachtsmärchen für die Kindergartenkinder von Steutz hat Kay-Uwe Papenroth dieses Jahr den Klaus gegeben. Auf den ersten Blick ist das nicht die attraktivste Rolle in der Geschichte von der »Goldenen Gans«. Klaus sei »lieb und hilfsbereit«, sagt Papenroth, aber er wirke auch »ein wenig wie ein Dummling«. Der Schein mag trügen. Klaus lädt, anders als seine Brüder, ein altes Mütterchen zu Speis und Trank ein, als diese ihn beim Viehhüten besucht. Zum Dank weist sie ihm den Weg zur goldenen Gans. Edelmetall verführt, und so bleiben viele Menschen, denen Klaus fortan begegnet, an dem Tier kleben. Der Anblick erheitert eine bis dato tieftraurige Prinzessin. Die beiden heiraten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heute.
Im Leben außerhalb von Bühne und Kindergarten besitzt Papenroth keine goldene Gans; er verfügt nur über gute Worte. Er wird viel reden müssen in den nächsten vier Wochen, und er wird hoffen, dass seine Argumente bei vielen Menschen haften bleiben. Papenroth gehört zu den Aktivisten einer Bürgerinitiative, die seit fünf Jahren für die Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt streitet. Tausende und Abertausende Unterschriften haben sie gesammelt, um finanzielle Einschnitte und rechtliche Beschränkungen abzuwehren. Am 23. Januar kulminiert die schier endlos andauernde Kontroverse im ersten Volksentscheid in der Geschichte Sachsen-Anhalts. Er sei »froh, dass es endlich eine Entscheidung gibt«, sagt Papenroth. Wie die ausfallen werde? »Ich bin emotionslos.«
Ausgelacht von CDU- und FDP-Abgeordneten
Es ist nicht Defätismus, der aus solchen Bemerkungen spricht. Wer Papenroth in seiner Küche in dem kleinen, an der Elbe gelegenen Anhalt-Dorf Steutz über die Forderungen der Bürgerinitiative und seine Beweggründe zum Mitmachen reden hört, der spürt einen Enthusiasmus, der in fünf Jahren nicht wesentlich nachgelassen hat - auch wenn seine beiden eigenen Kinder in dieser Zeit der Krippe und dem Kindergarten entwachsen sind. Eher scheint es, als wollte sich Papenroth gegen Tiefschläge wappnen, die engagierte Bürger im Streit mit der Politik auf sich ziehen können. Er habe »viel erlebt« seit 1999, sagt Papenroth. Das Ergebnis: »Die Illusionen sind weg.«
Ein erhellendes Beispiel für den Umgang arrivierter Politiker mit engagierten Bürgern musste Papenroth am 8. Juli 2004 im Landtag hautnah erleben. Der 38-jährige Vater war von der Bürgerinitiative damit betraut worden, vor den Abgeordneten das Anliegen des Volksbegehrens zur Kinderbetreuung zu begründen, das immerhin mehr als 260 000 Bürger unterzeichnet hatten. Bevor Papenroth, der kein routinierter Redner ist, seine engagierte, streckenweise auch polemische Ansprache auch nur beginnen konnte, verließ Regierungschef Wolfgang Böhmer den Saal. Die Abgeordneten von CDU und FDP pöbelten mit lauten Zwischenrufen und höhnischem Gelächter. Er habe viel erwartet, sagte Papenroth später - ein solch unwürdiges Schauspiel nicht.
Wer gegen Väter aufbegehrt, muss offenbar einstecken können. Papenroth liegt schon seit 1999 im Clinch mit Sachsen-Anhalts Landesvätern. Damals fuhr er nach Zerbst, um gemeinsam mit anderen Eltern am Rande einer Kabinettssitzung gegen Pläne der SPD-Regierung und ihrer PDS-Partner zu protestieren, die Zuschüsse für die Kinderbetreuung senken wollten. Als Ministerpräsident Reinhard Höppner die aufgebrachten Bürger der »Verantwortungslosigkeit« zieh, gab Papenroth den Vorwurf zurück. Die Kindergärtnerin Katrin Esche, die damals begann, den Widerstand zu bündeln, hörte ihn im Radio. Seither gehört Papenroth zum harten Kern der Volksinitiative.
Die Regierung hat inzwischen gewechselt, die Vorwürfe der Landesväter sind die gleichen. Böhmer, knorriger Chef der seit 2001 regierenden Koalition von CDU und FDP, warnt davor, eine »konsumorientierte Mehrheit« könne Sparbeschlüsse seiner Regierung kippen und so eine »giftige Stimmung« im Westen schüren, der über den Länderfinanzausgleich einen Gutteil des Etats von Sachsen-Anhalt bereitstellt. Die Koalition hatte, unterstützt von der SPD, im Frühjahr 2003 den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung eingeschränkt. Kinder von Arbeitslosen werden nur noch halbtags betreut. Mit dem Gesetz, das euphemistisch »Kinderförderungsgesetz« (Kifög) heißt, spart das Land 42 Millionen Euro.
Regierung bemüht konservatives Familienbild
Im Kindergarten von Steutz muss nun jedes zweite Kind am Mittag abgeholt werden. Papenroth, der dem Kuratorium der Einrichtung angehört, hält das für eine bedauerliche Entwicklung. Der studierte Landwirt, der im Hauptberuf eigentlich Viehhändler und Schlachthöfe kontrolliert, hat in den Jahren in der Bürgerinitiative viel über pädagogische Konzepte gelesen - »getreu dem Motto: Kinder und Rinder«, wie er formuliert. Spielen und Lernen in Gesellschaft, erklärt er, sei für die Entwicklung der Kinder ausgesprochen wichtig. Solche Aktivitäten sollten nicht auf den Vormittag beschränkt bleiben. Wenn ihm entgegengehalten wird, nachmittags würden die Kinder ohnehin nur noch herumtoben, entgegnet er: »Man soll nicht unterschätzen, was im Sandkasten gelernt wird.«
Die Argumente, die in der nunmehr fünfjährigen Debatte um die Kinderbetreuung ausgetauscht werden, nehmen immer grundsätzlicheren Charakter an. Die Landesregierung verweist auf Schulden von 18 Milliarden Euro, die zu Einschnitten zwängen, und den Umstand, dass das arme Land sich keine Kinderbetreuung auf Weltniveau leisten könne. Papenroth entgegnet, wenn das Geld für Investitionen schon knapp sei, solle doch in die Zukunft investiert werden - »und das sind nicht leere Gewerbegebiete, sondern schlaue Köpfe«. Das belege auch die PISA-Studie: »Wir haben immer weniger Kinder und sind trotzdem nicht in der Lage, alle so zu fördern, dass das Beste aus ihnen wird.«
Im Kern treffen in dem Streit grundverschiedene Vorstellungen von Erziehung und Familie aufeinander. Von konservativer Seite wird der Bürgerinitiative vorgeworfen, die Eltern aus der Verantwortung für ihre Kinder zu entlassen, obwohl »Pflege und Erziehung der Kinder« nicht nur deren Recht sei, sondern auch die »zuvörderst ihnen obliegende Pflicht«, wie ein Vertreter der katholischen Kirche in seiner Empfehlung für ein Nein beim Volksentscheid formulierte. Gern bemüht wird das Extrembild von verantwortungslosen Arbeitslosen, die ihre Kinder im Kindergarten abgeben. Ein Holzschnitt, der wenig für die Debatte tauge, sagt Papenroth - und fügt hinzu: »Selbst wenn es solche Eltern gibt, werden sie durch das jetzige Gesetz nicht verantwortungsvoller.«
Papenroth wirkt nicht wie jemand, der sich aus der Pflicht für seine Kinder stehlen will. In dem alten Haus, dass die Familie in Steutz ausgebaut hat, wimmelt es von Basteleien; im Ort hat er gemeinsam mit anderen Eltern nach Feierabend einen heruntergekommenen Spielplatz aufgemöbelt. Zeit für Tochter Kaja und Sohn Ole nimmt er sich, wann immer möglich. Gleichzeitig aber lobt er Bildungseffekte von Kindergärten, die jene in der Familie ergänzen und die oft unter dem Oberbegriff »soziale Kompetenz« gefasst werden. In dieser Sichtweise ist der Kindergarten keine »Verwahranstalt«, die Eltern die Kinder abnimmt, während sie arbeiten. Papenroth hält wenig davon, »Kinder nach Hause zu schicken, nur weil ihre Eltern keine Arbeit finden«. Der Effekt, befürchtet er, wird eine »Zweiklassengesellschaft« sein.
Ob solche pädagogischen Konzepte im zunehmend an Schärfe gewinnenden Streit vor dem Volksentscheid Gehör finden, ist fraglich. Gearbeitet wird stattdessen mit Drohszenarien, etwa steigenden Elternbeiträgen. Das sei Unsinn, sagt Papenroth: Wenn das Land gezwungen werde, wieder mehr Geld in die Kinderbetreuung zu stecken, werde die Bürde für Kommunen und Eltern vielmehr geringer. Doch Zusammenhänge darzustellen, ist außerhalb von Diskussionsveranstaltungen schwierig, und Geld ist ein gewichtiges Argument. Um die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen, behauptet die Landesregierung, ein Erfolg des Volksbegehrens müsse zu Kürzungen bei Sport oder Kultur führen - getreu der Devise: Teile und herrsche.
Zukunft gehört nicht den Parteien
Für die Bürgerinitiative gleichen die letzten vier Wochen bis zum Volksentscheid einem Rennen, das steil bergauf führt. Während Gewerkschaften, die Arbeiterwohlfahrt oder die PDS an ihrer Seite streiten, gibt es auch harten Gegenwind. Immer länger wird die Liste der Institutionen, die sich öffentlich für eine Ablehnung aussprechen: Kirchen, Landkreise, Arbeitgeber. Die Regierung pumpt trotz miserabler Kassenlage sechsstellige Beträge in eine Anzeigenkampagne. Kurz vor Toresschluss hat sich zudem ein fadenscheiniges Gegenbündnis gegründet. Einige Aktivisten kennt Papenroth noch aus früheren Zeiten. Sie haben damals mit ihm gemeinsam gekämpft - als es noch gegen eine SPD-Regierung ging.
Derlei politisch motivierte Seitenwechsel gehören für Papenroth zu den unangenehmen Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre. Er erinnert sich an CDU-Politiker, die den Bürgeraktivisten einst auf die Schulter klopften und heute lautstark gegen deren Anliegen wettern. »Politik«, sagt der 38-Jährige nüchtern, »verdirbt den besten Charakter«. Gleichzeitig berichtet er von positiven Erfahrungen: »Rückgrat und Aufrichtigkeit« bei Menschen, die sich »ohne Karriereansprüche und ohne Blick auf persönliche Vorteile über alles Maß für eine Sache engagieren«.
Auch Papenroth hat in den letzten Jahren viel Zeit und Kraft investiert. Bereut hat er sein Engagement - unabhängig von den Erfolgsaussichten - nicht: »Man braucht Dinge, an die man sein Herzblut hängt«, sagt er, »und man wird nicht dümmer dabei«. Ob er sich nach dem 23. Januar weiter in die Politik einmischt, ist offen, sagt er - und wenn, dann nicht in einer Partei: »Die werden zunehmend an den Rand gedrängt«, glaubt er, »die Zukunft gehört Bürgerinitiativen.« Vielleicht ist auch erst einmal Pause. Die Kinder würden sich freuen - die eigenen und die im Kindergarten. Und beim nächsten Weihnachtsmärchen könnte er dann den Text vielleicht sogar lernen, statt bloß zu improvisieren.Im Weihnachtsmärchen für die Kindergartenkinder von Steutz hat Kay-Uwe Papenroth dieses Jahr den Klaus gegeben. Auf den ersten Blick ist das nicht die attraktivste Rolle in der Geschichte von der »Goldenen Gans«. Klaus sei »lieb und hilfsbereit«, sagt Papenroth, aber er wirke auch »ein wenig wie ein Dummling«. Der Schein mag trügen. Klaus lädt, anders als seine Brüder, ein altes Mütterchen zu Speis und Trank ein, als diese ihn beim Viehhüten besucht. Zum Dank weist sie ihm den Weg zur goldenen Gans. Edelmetall verführt, und so bleiben viele Menschen, denen Klaus fortan begegnet, an dem Tier kleben. Der Anblick erheitert eine bis dato tieftraurige Prinzessin. Die beiden heiraten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heute.
Im Leben außerhalb von Bühne und Kindergarten besitzt Papenroth keine goldene Gans; er verfügt nur über gute Worte. Er wird viel reden müssen in den nächsten vier Wochen, und er wird hoffen, dass seine Argumente bei vielen Menschen haften bleiben. Papenroth gehört zu den Aktivisten einer Bürgerinitiative, die seit fünf Jahren für die Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt streitet. Tausende und Abertausende Unterschriften haben sie gesammelt, um finanzielle Einschnitte und rechtliche Beschränkungen abzuwehren. Am 23. Januar kulminiert die schier endlos andauernde Kontroverse im ersten Volksentscheid in der Geschichte Sachsen-Anhalts. Er sei »froh, dass es endlich eine Entscheidung gibt«, sagt Papenroth. Wie die ausfallen werde? »Ich bin emotionslos.«
Ausgelacht von CDU- und FDP-Abgeordneten
Es ist nicht Defätismus, der aus solchen Bemerkungen spricht. Wer Papenroth in seiner Küche in dem kleinen, an der Elbe gelegenen Anhalt-Dorf Steutz über die Forderungen der Bürgerinitiative und seine Beweggründe zum Mitmachen reden hört, der spürt einen Enthusiasmus, der in fünf Jahren nicht wesentlich nachgelassen hat - auch wenn seine beiden eigenen Kinder in dieser Zeit der Krippe und dem Kindergarten entwachsen sind. Eher scheint es, als wollte sich Papenroth gegen Tiefschläge wappnen, die engagierte Bürger im Streit mit der Politik auf sich ziehen können. Er habe »viel erlebt« seit 1999, sagt Papenroth. Das Ergebnis: »Die Illusionen sind weg.«
Ein erhellendes Beispiel für den Umgang arrivierter Politiker mit engagierten Bürgern musste Papenroth am 8. Juli 2004 im Landtag hautnah erleben. Der 38-jährige Vater war von der Bürgerinitiative damit betraut worden, vor den Abgeordneten das Anliegen des Volksbegehrens zur Kinderbetreuung zu begründen, das immerhin mehr als 260 000 Bürger unterzeichnet hatten. Bevor Papenroth, der kein routinierter Redner ist, seine engagierte, streckenweise auch polemische Ansprache auch nur beginnen konnte, verließ Regierungschef Wolfgang Böhmer den Saal. Die Abgeordneten von CDU und FDP pöbelten mit lauten Zwischenrufen und höhnischem Gelächter. Er habe viel erwartet, sagte Papenroth später - ein solch unwürdiges Schauspiel nicht.
Wer gegen Väter aufbegehrt, muss offenbar einstecken können. Papenroth liegt schon seit 1999 im Clinch mit Sachsen-Anhalts Landesvätern. Damals fuhr er nach Zerbst, um gemeinsam mit anderen Eltern am Rande einer Kabinettssitzung gegen Pläne der SPD-Regierung und ihrer PDS-Partner zu protestieren, die Zuschüsse für die Kinderbetreuung senken wollten. Als Ministerpräsident Reinhard Höppner die aufgebrachten Bürger der »Verantwortungslosigkeit« zieh, gab Papenroth den Vorwurf zurück. Die Kindergärtnerin Katrin Esche, die damals begann, den Widerstand zu bündeln, hörte ihn im Radio. Seither gehört Papenroth zum harten Kern der Volksinitiative.
Die Regierung hat inzwischen gewechselt, die Vorwürfe der Landesväter sind die gleichen. Böhmer, knorriger Chef der seit 2001 regierenden Koalition von CDU und FDP, warnt davor, eine »konsumorientierte Mehrheit« könne Sparbeschlüsse seiner Regierung kippen und so eine »giftige Stimmung« im Westen schüren, der über den Länderfinanzausgleich einen Gutteil des Etats von Sachsen-Anhalt bereitstellt. Die Koalition hatte, unterstützt von der SPD, im Frühjahr 2003 den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung eingeschränkt. Kinder von Arbeitslosen werden nur noch halbtags betreut. Mit dem Gesetz, das euphemistisch »Kinderförderungsgesetz« (Kifög) heißt, spart das Land 42 Millionen Euro.
Regierung bemüht konservatives Familienbild
Im Kindergarten von Steutz muss nun jedes zweite Kind am Mittag abgeholt werden. Papenroth, der dem Kuratorium der Einrichtung angehört, hält das für eine bedauerliche Entwicklung. Der studierte Landwirt, der im Hauptberuf eigentlich Viehhändler und Schlachthöfe kontrolliert, hat in den Jahren in der Bürgerinitiative viel über pädagogische Konzepte gelesen - »getreu dem Motto: Kinder und Rinder«, wie er formuliert. Spielen und Lernen in Gesellschaft, erklärt er, sei für die Entwicklung der Kinder ausgesprochen wichtig. Solche Aktivitäten sollten nicht auf den Vormittag beschränkt bleiben. Wenn ihm entgegengehalten wird, nachmittags würden die Kinder ohnehin nur noch herumtoben, entgegnet er: »Man soll nicht unterschätzen, was im Sandkasten gelernt wird.«
Die Argumente, die in der nunmehr fünfjährigen Debatte um die Kinderbetreuung ausgetauscht werden, nehmen immer grundsätzlicheren Charakter an. Die Landesregierung verweist auf Schulden von 18 Milliarden Euro, die zu Einschnitten zwängen, und den Umstand, dass das arme Land sich keine Kinderbetreuung auf Weltniveau leisten könne. Papenroth entgegnet, wenn das Geld für Investitionen schon knapp sei, solle doch in die Zukunft investiert werden - »und das sind nicht leere Gewerbegebiete, sondern schlaue Köpfe«. Das belege auch die PISA-Studie: »Wir haben immer weniger Kinder und sind trotzdem nicht in der Lage, alle so zu fördern, dass das Beste aus ihnen wird.«
Im Kern treffen in dem Streit grundverschiedene Vorstellungen von Erziehung und Familie aufeinander. Von konservativer Seite wird der Bürgerinitiative vorgeworfen, die Eltern aus der Verantwortung für ihre Kinder zu entlassen, obwohl »Pflege und Erziehung der Kinder« nicht nur deren Recht sei, sondern auch die »zuvörderst ihnen obliegende Pflicht«, wie ein Vertreter der katholischen Kirche in seiner Empfehlung für ein Nein beim Volksentscheid formulierte. Gern bemüht wird das Extrembild von verantwortungslosen Arbeitslosen, die ihre Kinder im Kindergarten abgeben. Ein Holzschnitt, der wenig für die Debatte tauge, sagt Papenroth - und fügt hinzu: »Selbst wenn es solche Eltern gibt, werden sie durch das jetzige Gesetz nicht verantwortungsvoller.«
Papenroth wirkt nicht wie jemand, der sich aus der Pflicht für seine Kinder stehlen will. In dem alten Haus, dass die Familie in Steutz ausgebaut hat, wimmelt es von Basteleien; im Ort hat er gemeinsam mit anderen Eltern nach Feierabend einen heruntergekommenen Spielplatz aufgemöbelt. Zeit für Tochter Kaja und Sohn Ole nimmt er sich, wann immer möglich. Gleichzeitig aber lobt er Bildungseffekte von Kindergärten, die jene in der Familie ergänzen und die oft unter dem Oberbegriff »soziale Kompetenz« gefasst werden. In dieser Sichtweise ist der Kindergarten keine »Verwahranstalt«, die Eltern die Kinder abnimmt, während sie arbeiten. Papenroth hält wenig davon, »Kinder nach Hause zu schicken, nur weil ihre Eltern keine Arbeit finden«. Der Effekt, befürchtet er, wird eine »Zweiklassengesellschaft« sein.
Ob solche pädagogischen Konzepte im zunehmend an Schärfe gewinnenden Streit vor dem Volksentscheid Gehör finden, ist fraglich. Gearbeitet wird stattdessen mit Drohszenarien, etwa steigenden Elternbeiträgen. Das sei Unsinn, sagt Papenroth: Wenn das Land gezwungen werde, wieder mehr Geld in die Kinderbetreuung zu stecken, werde die Bürde für Kommunen und Eltern vielmehr geringer. Doch Zusammenhänge darzustellen, ist außerhalb von Diskussionsveranstaltungen schwierig, und Geld ist ein gewichtiges Argument. Um die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen, behauptet die Landesregierung, ein Erfolg des Volksbegehrens müsse zu Kürzungen bei Sport oder Kultur führen - getreu der Devise: Teile und herrsche.
Zukunft gehört nicht den Parteien
Für die Bürgerinitiative gleichen die letzten vier Wochen bis zum Volksentscheid einem Rennen, das steil bergauf führt. Während Gewerkschaften, die Arbeiterwohlfahrt oder die PDS an ihrer Seite streiten, gibt es auch harten Gegenwind. Immer länger wird die Liste der Institutionen, die sich öffentlich für eine Ablehnung aussprechen: Kirchen, Landkreise, Arbeitgeber. Die Regierung pumpt trotz miserabler Kassenlage sechsstellige Beträge in eine Anzeigenkampagne. Kurz vor Toresschluss hat sich zudem ein fadenscheiniges Gegenbündnis gegründet. Einige Aktivisten kennt Papenroth noch aus früheren Zeiten. Sie haben damals mit ihm gemeinsam gekämpft - als es noch gegen eine SPD-Regierung ging.
Derlei politisch motivierte Seitenwechsel gehören für Papenroth zu den unangenehmen Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre. Er erinnert sich an CDU-Politiker, die den Bürgeraktivisten einst auf die Schulter klopften und heute lautstark gegen deren Anliegen wettern. »Politik«, sagt der 38-Jährige nüchtern, »verdirbt den besten Charakter«. Gleichzeitig berichtet er von positiven Erfahrungen: »Rückgrat und Aufrichtigkeit« bei Menschen, die sich »ohne Karriereansprüche und ohne Blick auf persönliche Vorteile über alles Maß für eine Sache engagieren«.
Auch Papenroth hat in den letzten Jahren viel Zeit und Kraft investiert. Bereut hat er sein Engagement - unabhängig von den Erfolgsaussichten - nicht: »Man braucht Dinge, an die man sein Herzblut hängt«, sagt er, »und man wird nicht dümmer dabei«. Ob er sich nach dem 23. Januar weiter in die Politik einmischt, ist offen, sagt er - und wenn, dann nicht in einer Partei: »Die werden zunehmend an den Rand gedrängt«, glaubt er, »die Zukunft gehört Bürgerinitiativen.« Vielleicht ist auch erst einmal Pause. Die Kinder würden sich freuen - die eigenen und die im Kindergarten. Und beim nächsten Weihnachtsmärchen könnte er dann den Text vielleicht sogar lernen, statt bloß zu improvisieren.
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