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Kampagnen mit Enteigneten

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Freudenbergs Vater war einer der Enteigneten der Bodenreform. 104 Hektar groß war dessen Wirtschaft; bei 100 Hektar lag die Grenze, die über Haben und Nichthaben entschied. Dennoch hoffte der Landwirt. Er veredelte Saatgut - für Kartoffeln und Getreide. Solche Experten wurden in der Nachkriegszeit gebraucht. Der sowjetische Kommandant ließ ihn zunächst weitermachen. Und er tat es wie bisher, ließ sich nicht dreinreden, auch nicht vöii jenen, die jetzt im Dorf das Sagen hatten. Da stand im Januar 1946 plötzlich ein anderer Russe vor der Tür, mit dem Bürgermeister. Sie verhafteten ihn. Ihnen folgte die Gemeindebodenkommission, die den Besitz enteignete. Die Familie mußte den Ort verlassen, aber Martin Freudenberg, der Sohn, durfte 1950 wenigstens ins nahe Heinersdorf ziehen, zu seiner Frau.

Was die jähe Wende im Leben der Freudenbergs bewirkte, ist kaum noch aufklärbar. Eins der Mitglieder der Bodenkommission war damals ein Gottlieb Hentschel, sein Sohn lebt heute in Fürstenwalde und kann sich nur vage erinnern: »Arensdorf galt als Faschistengemeinde. Die dortigen Großbauern unterstützten die Nazis, lieferten freiwillig für die Wehrmacht.« Für seinen Vater bestreitet das Martin Freudenberg: »Er war gegen die Nazis und schimpfte über Hitler. Er sagte: Den Krieg können wir sowieso nicht gewinnen. Der Bürgermeister, ein entfernter Verwandter, warnte: Paul, dich holen sie noch ab, wenn du nicht ruhig bist.«

Hentschel junior erinnert sich auch, daß Freudenberg Fremdarbeiter beschäftigte. Andererseits stand Freuden-

berg nicht auf einer »Faschistenliste« der Bodenkommission, die acht Arensdorfer Wirtschaften nannte. Nachgefragt hat aus der Familie niemand. »Dann hätte man uns auch abgeholt«, vermutet Martin Freudenberg heute. Erst 1950, als das Lager Jamlitz bei Müllrose aufgelöst wurde, erfuhren sie von Heimkehrern, daß er schon drei Jahre tot war. »Beim Frühstück, über der Wassersuppe, soll mein Vater zusammengebrochen sein. Er starb wohl vor Entkräftung.«

Leute wie Martin Freudenberg sind es, die heute im Kalkül mancher Politiker eine wichtige Rolle spielen. Sie sollen als Nachweis'dienen, daß es keineswegs vorrangig um »Junker« und »Großgrundbesitzer« gehe, wenn Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) vehement die »kalte« Revision des Einigungsvertrages und zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts betreibt, indem er für gesetzliche Regelungen zugunsten der Alteigentümer plädiert. Man solle nicht übersehen, argumentiert dementsprechend der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Horst Eylmann (CDU), »daß viele Opfer der sowjetischen Konfiskationen in der DDR geblieben waren und heute in den neuen Ländern leben.«

Noch deutlicher wird der Hamburger Kaufmann Heiko Peters: »Es stimmt einfach nicht, daß es sich nur um >Junker< handelte - der größte Teil waren kleine Bauern.« Peters, Mitglied des CDU-Ortsvorstandes im vornehmen Blankenese, betreibt eine besonders aggressive Kampagne gegen die Bodenreform-Klausel des Einigungsvertrages. In jeweils 18 000 Mark teuren Anzeigen in großen Zeitungen greift er sogar die Bundesregierung an, nennt Finanzminister Waigel einen Dieb und Hehler, weil jetzt die Treuhand-Nachfolgerin »Bodenverwertungs- und Verwaltunggesellschaft« (BWG) über jene 1,1 Millionen Hektar Ackerland und 700 000 Hektar Wald verfügt, die sich zur Wende - als frühere VEG oder durch Aufgabe von Bodenreform-Wirtschaften - in DDR-Staatsbesitz befanden.

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