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  • Politik
  • Vertrauter Feind von Alan J. Pakula und Michael Collins von Neil Jordan

Kein Heldenlied

  • Hans-Günther Dicks
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahrestage, Anlaßnlme. »Easter Rising«, der nach sechs Tagen blutig niedergeschlagene Aufstand der Iren gegen die britischen Besatzer zu Ostern 1916, jährte sich im Vorjahr zum 80. Male, und den 75. Jahrestag ihrer Staatsgründung beging die Republik Irland in diesem Januar. Also ist Irland ein Kinothema. Terry Georges Film »Mütter und Söhne« machte vor ein paar Wochen den Anfang, und nun kommen zwei weitere Filme in unsere Kinos, die den Befreiungskampf der Iren zum Thema haben.

Doch mit dem politisch-historischen Kontext und einem blutigen Schlachtgetümmel jeweils am Anfang hören die Gemeinsamkeiten von Alan J Pakulas »Ver-

trauter Feind« und Neil Jordans »Michael Collins« auch schon auf. Genauer gesagt: Beide könnten gegensätzlicher kaum sein, und das hat mit der Sicht auf Geschichte und Gegenwart der grünen Insel zu tun, weit mehr aber mit den Produktionszusammenhängen, in denen beide Filme entstanden.

Jordan, gebürtiger Ire und schon mit »The Crying Game« als so engagierter wie subtiler Gestalter der IRA-Thematik ausgewiesen, wendet sich diesmal der Historie zu. Eamon de Valera, später erster Präsident des Landes, und der gewiefte Guerilla-Taktiker Michael Collins, der als der Architekt des irischen Widerstands gilt, geraten, kaum daß sie den Briten Teilerfolge abgetrotzt haben, über ihre Weitere politische Strategie zu unversöhnlichen Feinden, bis - so Jordans durchaus umstrittene Deutung - der kar-

rierebewußte Valera den politischen Rivalen hinterhältig ermorden läßt.

Nicht zufällig ist Collins, nicht Valera Jordans Titelfigur, und nicht zufällig auch hat er die Rolle mit Liam Neeson besetzt: Neeson, ebenfalls Ire und seit »Schindlers Liste« der charismatische Held par excellence, gibt die Titelfigur mal als mitreißenden Agitator und Volkstribun, dann wieder als Opfer politischer Intrige, gerade so, wie Jordan ihn gerne sieht. Doch nicht um ein unkritisches Heldenlied geht es Jordan. Wozu sonst hätte er

- ein kleiner Geniestreich der Besetzung!

- die Rolle von Collins Gegenspieler mit dem darstellerisch ungleich brillanteren Alan Rickman besetzt? Dessen Valera ist ganz der »Realpolitiker« von heute, klug, aber berechnend, engagiert, aber mehr für den eigenen Nachruhm als fürs Gemeinwohl, mutig in Maßen, doch nie tollkühn, kurz: so schillernd und reich an Facetten, daß er zum Haßobjekt so wenig taugt wie zum bloßen Schwadroneur. Die wohl unerläßliche Liebesgeschichte (mit Julia Roberts, das bringt Kasse!) reduziert Jordan geschickt zur Marginalie, für Aidan Quinn und Stephen Rea schrieb er weitere differenzierte Rollen ins Drehbuch, und so wird, was leicht zum The-

senkino hätte verkommen können, ein packendes Politdrama, das seine Aktualität behalten wird.

Von Zwängen historischer Stimmigkeit unbehindert ist Pakulas »Vertrauter Feind«, denn er spielt im Heute und zudem, welch reizvoller Hintergrund für einen IRA-Film, in New York! Dort nämlich soll der junge IRA-Kämpfer Frankie McGuire (Brad Pitt), gerade knapp den Briten entkommen und von dem nichtsahnenden irischstämmigen Polizisten Tom O'Meara (Harrison Ford) hilfreich als Untermieter aufgenommen, bei einem zwielichtigen Waffenhändler Stinger-Raketen für die IRA beschaffen. Doch statt daraus ein subtiles Psychodrama zu gestalten, macht Pakula es zum billigen Rei-ßer, der die Popularität seiner beiden Stars auszuschlachten trachtet, in dem aber die Irland-Problematik ebensogut durch ein beliebiges Mafia-Geschäft ersetzbar wäre. Daß zum versöhnlichkeitstriefenden Ende gar der »bad guy« Pitt den braven Harrison Ford noch sterbend zum Gutmenschen ernennen und ganz buchstäblich zur Umkehr vom üblen Tun ansetzen muß, löste in der von mir besuchten Vorstellung nur schallendes Gelächter aus.

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