nd-aktuell.de / 04.04.1997 / Politik / Seite 16

Der Weg der AIBA ist falsch

Viel Zoff um Kampfdauer, Teilnehmerquoten und Anzahl der Gewichtsklassen

Karl-Heinz Wehr

Der 66jährige Berliner ist seit 1986 Generalsekretär des Weltverbandes der Amateurboxer (AIBA) und ranghöchster Funktionär aus der Ex-DDR in einem Weltverband

Foto: CAMERA 4

? Palastrevolution bei der AIBA? Nein, das wäre überspitzt formuliert.

Richtig ist: Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die künftige Entwicklung des Amateurboxens. Und es regt sich bei vielen Verbänden und auch bei mir Widerstand gegen AIBA-Beschlüsse, weil sie das Amateurboxen an sich und seinen olympischen Fortbestand gefährden.

? Der hauptsächliche Zoff geht von der geänderten Kampfdauer aus, oder?

Ja. Auf der AIBA-Exekutivtagung 1995 in Budapest war eine neue, mit Beginn 1997 gültige Kampfzeit von 5x2 Minuten anstelle von bisher 3x3 Minuten beschlossen worden. Eine Regeländerung, die das eigentliche Anliegen hinsichtlich eines noch besseren gesundheitlichen Schutzes aber ins Gegenteil verkehrt.

? Inwiefern?

Weil 5x2 Minuten Kampfdauer zur Überbelastung der Boxer führt. Bei der Junioren-EM im Juni in Birmingham sind 250 Boxer am Start. In acht Tagen müssen die Besten fünfmal in den Ring. Sie boxen also 25 Runden bei einem Turnier. Das ist aus gesundheitlicher Sicht unverantwortlich! Nicht mal die Profis machen so etwas. Zur WM im Oktober in Budapest haben 350 gemeldet. Da kommen also noch mehr Kämpfe zustande. Zum anderen führt der jetzige Modus zur Überlänge der Veranstaltung und zu Langeweile.

? Haben zu wenig Fachleute das Sagen gegenüber einer 34köpfigen Exekutive mit pensionierten Regierungsbeamten und Industriemanagern ?

Es ist leider so, daß immer wieder Leute anders »überzeugt« werden. Der Exekutive lag seitens der Medizinischen Kommission, die für höchstens vier Kämpfe pro Turnier plädiert, eine Analyse vor Danach gab es bei 3x3 Minuten die meisten Verletzungen oder K.o. in der dritten Runde. Deshalb war eine Änderung auf 4x2 Minuten erwogen worden. Plötzlich tauchte aber ein Ad-hoc-Vorschlag von 5x2 Minuten auf.

? Der »General« steht also konträr zum Präsidenten Chowdhry aus Pakistan?

Chowdhry redet von Universalität des Verbandes, der allen eine Startchance

einräumen muß. Dagegen ist ja keiner der Beschluß-Gegner. Wir aber sagen: Wer bei Olympia oder bei der WM starten will, muß sich qualifizieren. Vor acht Tagen habe ich dem Präsidenten ein Fax geschickt und erneut die Bedenken vorgebracht, die mir auch die WM-Ausrichter in Budapest bei meiner Visite antrugen. Chowdhrys Antwort: Wenn die Teilnehmerzahl zu hoch ist, müssen die Exekutivmitglieder Einfluß nehmen, daß die Länder weniger nominieren. Das Gegenteil von Universalität, die er immer preist.

? In der Debatte ist aber auch eine Reduzierung der bisher zwölf Limits?

Wenn wir durchsetzen, daß die Teilnehmerquote auf 16 Boxer pro Limit bei EM, WM oder Olympia limitiert wird, erübrigt sich eine Reduzierung der Gewichtsklassen. Gerade aus medizinischer Sicht wurden vor Jahren zwölf Limits eingeführt. Wenn künftig das Superschwergewicht wegfällt, würden im Schwergewicht Leute mit 85 bis über 110 kg aufeinandertreffen. Das ist unvertretbar

? Wie kommt die AIBA aus ihrer Krise?

Das Exekutivkomitee kommt im Juni in Santa Domingo erneut zusammen. Und Kuba will einen Antrag zur Regelkorrektur noch zur WM einbringen. Ich bin aber eher skeptisch und befürchte, die AIBA steuert offenen Auges in die Katastrophe. Gespräch: Jürgen Holz