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Humor ist, wenn man trotzdem streikt

500 gefeuerte Docker geben keine Ruhe Von Bettina Heidkamp

  • Lesedauer: 4 Min.

»Man muß verrückt sein, um in Liverpool zu leben, und noch verrückter, um im Hafen zu arbeiten«, sagen die Liverpooler. Verrückt auch, daß 500 Liverpooler Hafenarbeiter versuchen, die Welt zu mobilisieren.

Weitere Stationen der Rundreise von Terry Barrett (rechts) und Peter Huxley: 30.4. Waiblingen, 1 Mai Mannheim und Duisburg. Infos: Tel. 030 / 464 58 43.

Die Fernsehdokumentation von Ken Loach wird, am 20. Mai auf Arte'gesendet.

Spendenkonto für die Docker IG Medien, Ortsverein Hamburg, Bank für Gemeinwirtschaft, BLZ 200101 11,Kontonr.. 12 900 231 00. Stichwort: Flymg Picket

ND-Foto: Burkhard Lange

Arbeit bedeutet Würde und Stolz. Unsere Jobs haben sie uns genommen, aber unseren Humor nicht«, meint Terry mit seiner Spezialmischung aus Arbeiterpathos und Schalk. Terry und Peter aus Liverpool haben eine Mission. Und die trägt Terry nicht nur auf seiner rotgewandeten Brust vor sich her- »500 Liverpooler Hafenarbeiter Gefeuert seit September 1995«, ist da zu lesen.

Terry Barrett, 53 Jahre alt, Peter Huxley, 55 Jahre alt. Beide sind »Dockworkers«, Hafenarbeiter aus Liverpool. Terry hat 35 Jahre »on the docks« gearbeitet, Peter 33. Zwei der 500, die seit ihrem Rausschmiß der »Mersey Docks and Harbour Company« (MDHC), der Betreibergesellschaft des Liverpooler Hafens, die Hölle heiß machen. Oder es zumindest versuchen. Seit 19 Monaten, mit Streikposten vor dem Hafen - und Kampagnen auf der ganzen Welt. »Wir wollen die Eiterbeule im Nacken vom Boss sein. Jeden Morgen soll er aus dem Fenster gucken und sagen >wie zum Teufel kriege ich die hier weg<«, begeistert sich Terry.

Der Boss hat genau eine Möglichkeit, sich diesen Wunsch zu erfüllen: Er müßte alle 500 wieder in Lohn und Brot stellen. So wie es vor dem 25. September 1995 war An jenem Tag, einem Montag, protestierten fünf Arbeiter von Torside, einer Tochtergesellschaft der MDHC-Hafenbetreibergesellschaft. Weil der Manager ihnen gewerkschaftlich vereinbarte Überstundenzuschläge verweigerte. Am Dienstag solidarisierten sich die anderen Torside-Arbeiter mit ihnen - und wurden an die Luft gesetzt. Alle achtzig. Und die rund 400 Beschäftigten der Muttergesellschaft MDHC ebenso: Am Donnerstag traten sie in den Streik, um die »comrades«, die Genossen von Torside, zu unterstützen, am Freitag wurden sie gefeuert. Und am Samstag standen ihre Jobs bereits in der Zeitung.

1989 wurden die britischen Häfen privatisiert. Das »National Dock Labor Board Scheme«, das seit 1967 Festanstellungen und gewerkschaftliche Vertretung garantiert hatte, wurde außer Kraft gesetzt. Ein Rückschritt in die Zeit der Tagelöhnerarbeit je nach Auftragslage, die vor 1967 britischen Hafenarbeitern das Leben schwer gemacht hatte. Mit schlechter Bezahlung, ohne soziale Absicherung. Die britischen Hafenarbeiter streikten, aber scheiterten. Die Liverpooler Hafenarbeiter streikten länger und gewannen. Hier blieben die alten Arbeitsverträge erhalten. Mit dieser Sonderstellung sollte es offensichtlich vorbei sein. Bereits im August 1995 hatte die

Torside-Tochtergesellschaft angekündigt, 20 Arbeiter zu entlassen und durch Tagelöhner zu ersetzen. Tage später kam es zu den Überstunden-Querelen und Massenentlassungen. Jetzt arbeiten Tagelöhner im Hafen von Liverpool. »Casual Work«, Tagelöhnerarbeit, bei diesem Stichwort kommt Terry so richtig in Fahrt. Und Peter nickt. »Wir wollen die deutschen Arbeiter warnen: Geht nicht in die Falle Tagelöhnerarbeit, so wie wir!«, erklärt Terry Lohndumping, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, Privatisierungstendenzen: Überall die gleiche Entwicklung, ob Frankreich, ob Deutschland, ob USA, ereifern sich die beiden.

Entsprechender Anlaß ihrer Deutschlandreise: Der Euro-Marsch gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung, die große Gegenaktion zum EU-Gipfel.

»Solidarität«, oder besser noch »internationale Solidarität« ist denn auch Terrys zweites Zauberwort. »Die einzige Möglichkeit, unsere Jobs zurückzubekommen ist internationale Solidarität«, ist er sich sicher. Honolulu, Frankreich, Südafrika, Indien, Mauretanien - kaum kann man ihm folgen bei der Weltreise in Worten. Die Streikzeitung wimmelt von japanischen Hafenarbeitern, die die Hände mit britischen Counterparts verschränken, von Liverpool Dockers, die braungebrannt von einer Kampagnenreise »durch alle Provinzen Australiens« zurück sind oder von dänischer Freundlichkeit beim Empfang der Liverpooler

Die Docker versuchen, der MDHC durch Streiks und kurzfristige Arbeitsniederlegungen in all jenen Häfen, deren Schiffe Liverpool anlaufen, die Wirtschaftsgrundlage zu entziehen. Im sech-

zehnten Monat des Streiks der vorläufige internationale Höhepunkt: 105 Aktionen in 27 Ländern anläßlich des weltweit ausgerufenen Aktionstages der »Liverpool Dockers« am 20. Januar.

Zuhause fühlen sich die Protestler dagegen eher auf einsamem Posten: »Wir haben vier Feinde: Die Gewerkschaft, die Regierung, die Medien und die Dock Company«, summiert Peter, der Ruhige. Mit der zuständigen Gewerkschaft »Transport and General Workers Union« (TGWU), liegt man im Clinch. Sie zahlt den Streikenden lediglich 15 Pfund, rund 40 DM, pro Woche und unterstützt die Linie der Docker nicht. Begründung: Der Streik sei illegal, da ohne Urabstimmung initiiert. Deshalb drohe ihr bei Unterstützung nach geltendem englischen Recht die Beschlagnahmung von Gewerkschaftsgeldern. Die Gewerkschaft setzt auf Verhandlungen mit der Hafenbetreibergesellschaft. Das jüngste Angebot an die Streikenden: 40 Arbeitsplätze und je 28 000 Pfund, rund 78 000 DM, Abfindung. »28 000 Pfund, um abzuhauen. Niemals«, so Terrys verächtlicher Kommentar. »Alle oder keiner« und »wenn Arbeit, dann richtige«, läßt sich ihre Maxime zusammenfassen.

Das Leben der Streikenden veränderte sich rapide, denn die Familien wurden arm, einige bekommen Krankengeld, an-

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