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mm Dimitroff soll weichen

SPD und CDU wollen Platz am einstigen Reichsgericht umbenennen

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Marcel Braumann

Nachdem Sachsens Oberverwaltungsgericht das behördliche Verbot der NPD-Demo am 1. Mai in Leipzig aufgehoben hat, ist praktischer Antifaschismus gefragt. Wie es damit in der Kommunalpolitik aussieht, zeigt der aktuelle Streit um eine Straßenumbenennung.

Mit dem Werbeslogan »BILD Dir Deine Meinung« ging Deutschlands größte Boulevardzeitung auf Leserjagd. In Leipzig haben BILD-Leser nun tatsächlich mal einen maßgeblichen Beitrag zur Meinungsbildung leisten dürfen: 59 Prozent votierten bei einer TED-Umfrage gegen die Umbenennung des Dimitroff-Platzes. Zitiert wird unter den Leserstimmen auch diese: »Dimitroff hat viel für die Wahrheit getan. Den Platz wieder >Reichsgericht< zu nennen, wäre ein Schritt zurück.«

Tatsache ist: CDU- und SPD-Fraktion im Rathaus wollen den Georgi-Dimitroff-Platz aus dem Stadtplan tilgen. Am 14. Mai hat der Stadtrat über die Umbenennung zu befinden, der Stadtteilbeirat Mitte lehnte den Vorstoß bereits ab, das Areal in »Reichsgerichtsplatz« umzutaufen. Auf diese Idee war die SPD gekommen, deren Bundesvorsitzender Oskar Lafontaine in dieser Sache einen offenen Brief des Leipziger PDS-Stadtvorsitzen-

den Dietmar Pellmann erwarten kann.

Gegen die Umbenennung läuft eine von der PDS unterstützte Unterschriftenaktion, zu deren Erstunterzeichnern unter anderem die Radsportlegende Gustav-Adolf Schur, Schauspieler Fred Delmare, Kabarettist Edgar Külow und PDS-Bundesvorsitzender Lothar Bisky gehören. Die Unterzeichner begründen ihre Position damit, daß im Jahr 1933 »mit dem Auftreten Georgi Dimitroffs im Reichstagsbrandprozeß von Leipzig ein weltweit wahrgenommenes Signal des Antifaschismus« ausgegangen ist. Dimitroff, gelernter Setzer aus einem bulgarischen Dorf, war angeklagt worden, das Feuer gemeinschaftlich mit anderen Kommunisten gelegt zu haben.

Doch der spätere Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern) lenkte mit präzisen Aussagen und glänzender Rhetorik den Verdacht auf den Reichstagspräsidenten Hermann Göring. Dimitroff wurde freigesprochen, und die internationale Öffentlichkeit wertete dies als Niederlage der Nazis. Daher würde der Namenswechsel im In- und Ausland als fatales Zeichen des Zurückweichens vor anwachsendem Rechtsextremismus und Nationalismus gewertet werden, wird im Aufruf zur Unterschriftensammlung befürchtet.

Der Umbenennungseifer von SPD und CDU gründet in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der angeblichen Abneigung eines künftigen Anliegers gegen den

Namen. Dem Bundesverwaltungsgericht könne Dimitroff nicht zugemutet werden. Da den hohen Richtern bei der Tradition des hier einmal ansässigen Reichsgerichts offenbar auch nicht recht wohl ist, wünscht man dort die Bezeichnung »Gerichtsplatz«. Im Leipziger Stadtteil Reudnitz gibt's aber schon einen »Gerichtsweg«, Verwirrung wäre also programmiert.

Vielleicht wird sich Oskar Lafontaine bereits bei der zum SPD-Wahlkampfauftakt umfunktionierten zentralen 1.-Mai-Kundgebung des sächsischen DGB in Leipzig zu dieser Problematik äußern, immerhin hat für denselben Tag die NPD zum Aufmarsch in Leipzig geblasen. Die CDU-Stadtratsfraktion findet einfach, daß ein »bulgarischer Stalinist« als Namensgeber »unpassend, unzumutbar und geschmacklos« sei. Unterdessen fand in der Oberen Wandelhalle des Rathauses eine Ausstellung unter dem Titel »Gestaltung Vorplatz Reichsgericht« statt, die auch im Amtsblatt so angekündigt wurde.

PDS-Mann Pellmann sieht darin eine Art »illegale Umbenennung«. Für seine Partei bleibe Dimitroff ein Mann, »der als einer der ersten dem faschistischen Regime öffentlich die Stirn bot«. Unter Dimitroff schwor die Komintern der Stalinschen These ab, die Sozialdemokratie sei »Zwillingsschwester des Faschismus«. Und die besonders ausgeprägte Moskau-Treue Bulgariens begann erst nach Dimitroffs Tod.

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