nd-aktuell.de / 24.07.1997 / Politik / Seite 14

Durch die Zähne gepreßt

Jürgen Eger

In der Berliner Kalkscheune, dem sich auf dem Gebiet Kleinkunst deutlich profilierenden Berliner Veranstaltungsort, präsentierte der Sänger Michael Kiessling die Uraufführung seines neuen Programms »Deutsche Lieder« - von Hildegard Knef bis Nena, von Rio Reiser bis Lucilectric.

Der in der Karl-Marx-Stadt Trier geborene Michael Kiessling ist dem einen oder anderen schon mit seinem vorheri-

gen Programm »Bukowski waits for us« aufgefallen.

Nun also »Deutsche Lieder«. Kiessling gefällt sich mit glimmender Zigarette auf einem Barhocker sitzend, die Lieder seiner Wahl möglichst tief durch Kehle und Zähne pressend. Das erinnert an französische und Hollywood-Filmbilder der 60er und klingt alles ein wenig und etwas mehr nach betrunkenen Klavieren aus den 80ern. Und soll es sicher auch. Dabei kann er auch anders, wie er gelegentlich zeigt. Zumal den weiblichen Fans, die er in Berlin offenbar schon hat, scheinen Bild und Timbre zu gefallen. Wo die Erotik volle Wucht zuschlägt, gelten ge-

sangstechnische Einwände sowieso nichts. Begleitet wird der Sänger durch ein Trio in der Besetzung Gitarre, Baß, Saxophon. Das Fehlen des Schlagzeugs eröffnet die Chance, vor allem die Rockund Poptitel der 80er und 90er ganz anders zu hören.

Mir gefällt, daß er den Liedern vertraut. Sie werden nicht zu einem ausgestellten, schmückenden Beiwerk des Künstlers, sondern der ist zunächst Überbringer der inhaltlichen und ästhetischen Botschaft. So spricht Kiessling zwischendurch wenig, zu wenig, wie es dem einen oder der anderen scheinen mag, die, zumal in intimer Atmosphäre, den Menschen Kiessling kennenlernen, etwas über ihn und seine Gründe, zu singen, erfahren möchten. Indem Kiessling das Material seinem Einheitssound unterwirft, verschwinden Unterschiede in Zeit und Herkunft, und Hans Albers' »Goodbye Johnny« paßt so gut zu irgendeinem Nena-Lied, wie die Lieder des Grönemeyer oder der Meinecke.