Jochen Willerding heute und im Jahre 1982
Fotos: Weiß/Archiv
PDS? Jochen Willerding, wie er genannt wird, wirkt immer noch eher wie ein Intellektueller und nicht wie ein hartgesottener Businessman. Aber wenn er von der Firma, den Perspektiven und auch gelegentlichen Sorgen spricht, spürt man Kompetenz, Sachverstand und Engagement. Die Firma berät mittelständische und größere Unternehmen, die Interesse am Ostmarkt haben und vermittelt umgekehrt auch Kontakte nach Deutschland. Dabei bringen Jochen Willerding und sein Partner ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus früherer internationaler Tätigkeit sowie ihre Sprachkenntnisse ein. Jochen Willerding hat zum Beispiel in Moskau studiert und war vorher fast fünf Jahre auf einer sowjetischen Schule.
Seinen Entschluß, die Arbeit als Verantwortlicher für internationale Beziehungen im PDS-Präsidium aufzugeben, sieht Jochen Willerding so: »Damals, 90/91, stand ich auf dem Standpunkt, daß es richtig
ist, jungen Genossen solche Funktionen zu übergeben.« Er halte aber auch heute noch Verbindung zum PDS-Vorstand, so wenn es um Kontakte der Partei zu Rußland oder China geht.
Sein Blick auf die DDR und die Funktionen, die er in ihr ausgeübt hat, fällt heute sehr viel differenzierter aus, als es vielleicht noch zur Wendezeit war. Jochen Willerding denkt darüber nach, »was man hätte anders machen können, vor allem in den 80er Jahren« und empfindet es als »persönliche Tragik, daß der Versuch, auf deutschem Boden eine sozial gerechtere Gesellschaft aufzubauen, kaputt gegangen ist«. Eine der wesentlichen Ursachen dafür sieht er in dem »starken Demokratiedefizit« der DDR, durch das »unwahrscheinliche Potenzen verschenkt worden sind«. Trotzdem findet er: »Der Versuch war es wert.«
Als Angehöriger einer Generation, die in der DDR geboren und ausgewachsen ist, habe er sich ein-
fach nicht vorstellen können, »daß dieses Land einmal untergehen könne und dann noch auf diese Art und Weise, sang- und klanglos«. Jochen Willerding erinnert an die ersten, sehr bescheidenen Versuche der FDJ, dem immer stärkeren Wunsch nach Reisefreiheit wenigstens ein bißchen entgegenzukommen und gibt zu: »In der damaligen Situation die absolute Reisefreiheit zu fordern, wäre eben auch der Untergang der DDR gewesen.« Aber ganz abgesehen von der DDR, wer hätte sich denn vorstellen können, daß auch der Hauptverbündete, die Sowjetunion, von der Bildfläche verschwindet! Sein Kommentar zur »Wende«: »Für mich bleibt eben bis heute interessant, daß der letztliche Auslöser der Zusammenbruch der politischen Führungskraft gewesen ist. Eine Diskussion um die anstehenden Probleme gab es nicht, die wurde erst angesto-ßen, als es eigentlich schon zu spät war, keine Zeit, keine Kraft mehr da war, um Kardinalprobleme der Innenpolitik zu lösen.«
Der 45jährige sieht sich weltanschaulich links, wobei links für ihn ein dehnbarer Begriff ist. Nach seiner Auffassung gebe es »bis zum heutigen Datum keine bessere Methodik in der Gesellschaftsanalyse als die Marx'sche«. Leider sei es über viele Jahre so gewesen, daß von Marx und Engels nur das gebracht wurde, »was gerade in den politischen Kram paßte«.
Für Jochen Willerding war es
gar nicht so einfach, aus der unmittelbaren aktiven Politik herauszugehen, wie er freimütig eingesteht. Aber auch in seiner jetzigen Tätigkeit bleibe er dem aktuellen Zeitgeschehen verbunden. Er hofft, daß der in der DDR gemachte Versuch, eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen, nicht der letzte gewesen sei, »auch wenn es jetzt noch Generationen dauern sollte«. Er wünscht sich, daß die Schere zwischen der Globalisierung des Kapitals auf der einen und dem Verharren in nationalem Denken, in nationaler Differenziertheit auf der anderen Seite nicht noch wei-
ter auseinanderklafft. »Für meine Generation, für mein Leben, würde ich mir schon wünschen, daß man hier ein entscheidendes Stück vorankommen kann, damit die linke Bewegung die fortschrittliche Bewegung bleibt und nicht isoliert wird in alten Vorstellungen. Ohne eine aktuelle Ist-Analyse der gesellschaftlichen Situation wird man nicht zu einer praktikablen linken Politik kommen, die von den arbeitenden Menschen auch nachvollzogen werden kann.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/670737.marx-sche-methode-ohne-konkurrenz.html