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  • Politik
  • Zum Tode des Kinderbuchautors James Krüss

Eine Vorstellung von Glückseligkeit

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Foto: dpa

Vor vielen Jahren schon machte er wahr, wovon andere ein Leben lang träumen. Er kehrte dem hektischen Alltag in der Bundesrepublik den Rücken und suchte sich »seine Insel«. Seit 1966 lebte der Kinderbuchautor James Krüss auf Gran Canaria. In seinem Haus im Dorf La Calzada ist er am Samstag im Alter von 71 Jahren gestorben. Wie eine dort lebende Freundin des Schriftstellers telefonisch der Deutschen Presseagentur (dpa) mitteilte, war er schon seit längerem herzkrank.

James Krüss hat Pädagogik studiert, ist aber eigentlich nie als Lehrer tätig gewesen. Von Erich Kästner ermuntert, begann er schon als ganz junger Mann zu schreiben. »Der goldene Faden. Vier Legenden« war 1946 seine erste Publikation. Inzwischen sind seine Veröffentlichungen kaum mehr zu zählen. James Krüss war einer der erfolgreichsten deutschen Kinderbuchautoren der Nachkriegszeit. Weil er »ein lebenslängliches Kind« geblieben ist, wie Erich Kästner erklärte? Tatsächlich betrachtete James Krüss das Kindliche als Chance und Möglichkeit. Wenn er behauptete, daß das Kindliche und Literarische sich decken müßten, so hatte das freilich mit einem Kunst- und Weltbegriff zu tun, der die Erfahrung des Erwachsenen voraussetzt. Über die Gegebenheiten machte er sich

keine Illusionen, schmerzhaft empfand er den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit.

Ein Künstler, der schon früh erkannte, worüber sich bis heute viele Leute hinwegtäuschen: Die Verhältnisse in dieser »Geldgesellschaft« führen letztlich zur Verarmung, die auch vor den Reichen nicht halt macht. In einem seiner bekanntesten Bücher, »Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen«, erzählt James Krüss von einem »teuflischen Vertrag«,

den jeder im Laufe seines Lebens einzugehen droht. Für Konsum und Karriere das Lachen, die Muße, das Vertrauen in die Welt, letztlich die Menschlichkeit zu verkaufen - ist es nicht das Übliche geworden?

Freiheit ist den meisten doch nur noch eine Phrase, James Krüss wußte, was das ist, auch, daß Freiheit im eigenen Kopf beginnen muß. Er verlachte Engstirnigkeit. Übersichtlich geordnete Weltbilder waren ihm suspekt. Wahrscheinlich wußte er aus eigener Vergangenheit, daß meist Unterdrückungsmotive dahinter stecken. Mit seinen Bücher wollte er Kindern (und Erwachsenen) Mut machen, sich dagegen zu wehren. Von Anfang an hat er in seinen Märchen Hierarchien kräftig durcheinandergeschüttelt: Könige werden zu Trotteln, Hexen werden gut. Alles ist möglich.

»Wer unsere Abenteuer liest, denkt, wir sind Narren«, schrieb er in »Die glücklichen Inseln hinter dem Winde«. Das zweibändige Werk ist ein großer utopischer Entwurf von einer Welt, in der »Tag und Traum« zusammenkommen und wo man Feinde als verhinderte Freunde begreift. Daß er »Schlösser im Monde« baut, gestand James Krüss durchaus zu. Um so entschiedener verteidigte er die Phantasie vom Paradies: »Wenn wir auch niemals ganz glücklich sein können auf dieser Welt, so sollten wir uns von der Glückseligkeit doch eine Vorstellung machen. Wir müssen wissen, was das Glück ist, wenn wir es suchen. Wir brauchen ein Bild des Paradieses, wie der Seemann den Polarstern braucht, um sein Schiff sicher zu führen.«

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