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Metamorphose eines Büro-Kolosses

Aus einstigem Luftfahrt- wird Finanzministerium Von Bernd Kammer

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bundesfinanzminister ist ein sparsamer Mann. Eigentlich steht Theo Waigel ein wenigstens 60 Quadratmeter großes Büro zu, doch in seinem künftigen Amtssitz an der Wilhelm-/Ecke Leipziger Stra-ße wird er sich - oder sein Nachfolger mit einem 45-Quadratmeter-Kabuff begnügen müssen. »Daß es auch Treuhandchefin Birgit Breuel genügt hat, überzeugte den Theo«, plaudert Hans-Joachim Henzgen vom Bundesbauamt vor den Besuchern, die sich am Wochenende innerhalb der »Schaustelle Berlin« Einblick in das Innenleben eines der in seiner Nutzungsgeschichte widersprüchlichsten Gebäude Berlins verschafften.

1935/36 als Reichsluftfahrtministerium in nur 18 Monaten Bauzeit von 5000 Arbeitern hochgezogen, war der fast unversehrte Bau nach 1945 Sitzt der sowjetischen Militäradministration, DDR-Gründungsstätte, Haus der Ministerien und schließlich Sitz der Treuhandanstalt. Derzeit nun übernehmen im größten Bürogebäude Berlins die Bauleute das Kommando. Bis 1999 soll es für seine neue

Regierungsfunktion fit gemacht werden, was 250 Millionen Mark kostet. »Hört sich viel an, doch hinterher wird man kaum sehen, wo das Geld geblieben ist«, bittet Henzgen die Besucher um Verständnis. Denn größere bauliche Veränderungen läßt die Denkmalpflege nicht zu, das meiste Geld geht für die originalgetreue Herrichtung der Muschelkalfassade, der 4000 Fenster und vor allem für die Erneuerung der gesamten Haustechnik drauf. Allerdings hatte auch schon die Treuhand über 100 Millionen investiert, doch diese »Renovierung« reicht für die Bedürfnisse des Finanzministers nicht aus, meint Henzgen.

Das Ministerium will Ende 1999 mit 1200 Beamten - die Hälfte der Mannschaft bleibt in Bonn - hier einziehen. Ein Teil der 2400 Büros kann deshalb an den Bundesrat, der seinen Bonner Sitz ins benachbarte Preußische Herrenhaus verlagert, abgetreten werden. Doch auch so werden die Ministerialen Sorge haben, sich nicht auf den 6,8 Kilometer langen Korridoren (Henzgen: »So breit, daß drei Soldaten bequem nebeneinander marschieren konnten«) zu verlaufen.

Von der düster-schaurigen Stimmung, die hier einst herrschte, müssen sie sich

hoffentlich nicht mehr erschrecken, obwohl an der Raumgestaltung kaum etwas verändert werden darf: Vom steinernen Ehrenhof geht's in die bedrückend niedrige Säulenhalle, zu Görings Zeiten von Fackeln in mystisches Licht getaucht, und über die Haupttreppe zur - Toilette. Die dürfte immerhin die monumentalste ihrer Art in Berlin sein. Daneben der große Festsaal, in dem sich der Deutsche Volksrat zur provisorischen Volkskammer erklärte und die Gründung der DDR verkündet wurde. Das gesamte Nazi-Interieur war zuvor komplett ausgebaut worden. Da nicht alles rekonstruierbar ist, bleibt der Saal im wesentlichen im Zustand von 1946.

Der kleine Festsaal dagegen, den manche für Görungs Büro halten, wofür es aber keine Belege gibt, erhält wieder seine Original-Holztäfelung. Wenigstens moderne Lichtquellen wurden den Denkmalschützern abgerungen. Die Lampen im Palast-der-Republik-Design verschwinden ebenso wie die der Marke Flakscheinwerfer. Mit Kies verfüllt wird der Luftschutzbunker unter dem Vorplatz an der Kreuzung Leipziger/ Wilhelmstraße. Auf ihm wird's möglicherweise mal ein Denkmal für den 17. Juni 1953 geben. Henzgen erwartet dafür demnächst die Auslobung eines Wettbewerbs. Es stünde dann vor einem anderen Erscheinungsbild des realen Sozialismus: Dem 1952 von Max Lingner geschaffenen Wandfries zur »Bedeutung des Friedens...«. Es bleibt erhalten.

Theo Waigel übrigens dürfte mit dem Wochenendbesuch im künftigen Amtssitz nicht ganz zufrieden gewesen sein: Keiner kontrollierte, ob auch Eintritt bezahlt wurde.

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